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Ausgerockt - [Roman]

Ausgerockt - [Roman]

Titel: Ausgerockt - [Roman] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: FUEGO
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blankes weißes Hinterteil.
    Er legte die Hände darauf und bewegte wie ein Puppenspieler die Pobacken zu den Reimen. Die Stimme hörte man nur noch dünn und unverstärkt. Das Mikrofon stand schließlich an der falschen Seite seines Körpers.
    Zwei Männer von der Security kamen auf die Bühne gestürmt. Sie rissen an Holgers Armen. Sie konnten sich nicht auf eine Richtung einigen, in der sie ihn abführen sollten.
    Holger konnte sich deshalb mit einem Ruck befreien. Er nutzte den Moment, um sich die Hose wieder hochzuziehen. Die Sicherheitsleute packten ihn erneut an den Armen und rüttelten ihn durch, um ihn vom Mikrofon wegzubekommen.
    »Ich werd euch auf die Bühne scheißen!«, klang es noch deutlich aus den Lautsprechern. Dann machten die jungen Männer ernst und zogen so sehr an Holgers Oberarmen, dass sie ihn regelrecht von den Beinen rissen und über die Bühne schleiften.
    Der Mikrofonständer kippte um. Holger ließ sich widerstandslos ziehen, kompensierte aber die fehlende Verstärkung seiner Stimme.
    »Nur einen ganz kleinen Haufen!«, rief er lauthals in den Saal hinein, und es hallte von den Wänden. »Bitte!«
    Sie schafften ihn von der Bildfläche, zerrten ihn hinter einen Vorhang. Doch man konnte ihn immer noch hören. Er schrie einfach noch lauter.
    »Als Zeichen meiner Wertschätzung! Einen schönen Hau…«
    Dann schien ihm jemand das Maul gestopft zu haben.

Mit müdem Blick schaute er aus dem Fenster. Seine Stirn klebte an der großen kühlen Plastikscheibe.
    Die Oberleitung surrte, die Straßenbahn rollte stadtauswärts. Linus’ Blick blieb am ehemaligen Beck’s Hochhaus haften. Die Globalisierung hatte der Stadt eines ihrer Wahrzeichen genommen. Jahrzehnte hatte der Schriftzug des hanseatischen Bieres an dem sechskantigen Gebäude an der Hochstraße geprangt wie ein alter Wächter an den Toren der Stadt. Der Wächter war noch da, nur trug er eine neue Beschriftung.
    Linus nahm seine Stirn von der Scheibe und setzte sich halbwegs gerade hin. Sein Handy piepte. Er warf einen Blick auf das Display. Nachricht von Holger.
    Er steckte das Handy wieder in die Jackentasche. Vielleicht würde er die Nachricht später lesen. Vielleicht auch nicht.
    An der Station Neuenlander Straße stieg er aus. Von dort lief er die letzten Meter durch Grolland.
    Es war ein warmer Tag, einer der ersten Frühlingstage des Jahres.
    Linus machte große, schnelle Schritte. Er war bereits gestern zu spät gekommen. Er wollte die Arbeit ernst nehmen. Er wusste nicht, was er sonst machen sollte.
    Manchmal freute er sich sogar auf den Drink-Markt, auf Walther und Joscha, und mehr noch auf die Rückkehr in seine Wohnung, auf die Abende, die er je nach Stimmung mit Bier und Musik oder mit Brot und Fernsehen verbrachte. Eine Rückkehr ist spürbarer, wenn es zuvor einen triftigen Grund zum Fortgehen gab.
    Linus ging vier Mal die Woche für vier Stunden arbeiten. Zu viel Arbeitszeit für einen Vierhundert-Euro-Job. Daher zahlte Drink ihm unter der Hand einen Zuschuss, was beiden zugute kam.
    Linus konnte damit vorerst den Schwund des Geldes unter seiner Küchenzeile stoppen.
    Walther stand hinter der Kasse und sortierte Zigarettenpackungen in ein Sicherheitsregal.
    »Moin«, sagte er. »Hast du das Wetter bestellt?«
    Linus nickte. Er mochte Walther. An seinem erstem Tag hatte Walther ihm die Hand gereicht und gesagt: »Ich bin hier die Vollzeit.«
    Walther hatte Probleme mit dem Rücken. Die schweren Kisten. Er schleppte nur das Nötigste, stand überwiegend an der Kasse und sprach mit Kunden. Walther war alt.
    Linus ging in die Teeküche, einem kleinen Raum mit einem Sichtfenster aus Plastikglas, der dem Leergut-Lager angeschlossen war. Es gab einen Kühlschrank, eine Kaffeemaschine, eine alte offene Wandgarderobe und zwei Stühle. Linus hing seine Jacke auf und setzte sich für einen Moment.
    In den ersten beiden Wochen war er manchmal mit schüttelndem Kopf durch den Laden gelaufen. Er hatte es nicht fassen können, dass er hier war. Es hatte sich angefühlt, als würde er sich in einem fremden Leben befinden. Aber er war geblieben, hatte sich klar gemacht, dass er den Rest des Erbes nur erhalten konnte, wofür auch immer, wenn er arbeitete.
    Linus hatte sich an die seltsam unpassende Fröhlichkeit gewöhnt, mit der Walther über Bandscheibenprobleme sprach. Und er hatte die einfachen motorischen Tätigkeiten schätzen gelernt, die ihm keine geistigen Höhenflüge abverlangten, ihn aber davon abhielten, zu viel

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