Ausgerockt - [Roman]
schweigen, sich beschimpfen und sich küssen. Er wollte es so, wollte Zuschauer sein. In gewisser Weise auch sein eigener.
Die Weser trieb still an der Promenade entlang.
Etwa hundert Meter von ihm entfernt teilten sich ein paar minderjährige Punks eine Flasche Fusel. Ab und zu sahen sie zu ihm herüber. Was mochten sie denken? So etwas wie der freche Demis vom Megastar-Casting? Jacqueline, deine Väter sind da?
Mal abgesehen von seiner penetranten Art hatte dieser Demis vermutlich Recht gehabt. Andere Männer in Linus’ Alter waren Väter. Natürlich. Holger und Linus gaben sich rein optisch zwar alle Mühe, nicht wie Väter auszusehen. Aber sie hatten Vaterspuren im Gesicht.
Diese Spuren waren nicht aus Sorge um ihr Kind entstanden, sondern aus Sorge um sich selbst.
Linus leerte seine Bierdose und stellte sie eine Stufe tiefer zwischen seine Füße.
Aus kleinen vorbeiziehenden Grüppchen, die meisten in Grün-Weiß gekleidet, bildete sich allmählich ein Strom.
Linus zog sich eine neue Dose aus dem Rucksack, öffnete sie und schlürfte den Schaum vom Dosenrand. Es schmeckte nach Eisen.
Eine kleine Fan-Gruppe, eine junge Frau und drei Männer, die sich durch die Kombination grün-weißer Schals und Cappies mit edlen Sakkos und glänzenden Lederschuhen auszeichneten, schlenderte in einiger Entfernung an Linus vorbei.
Einer der Männer, ein Yuppie, schlank, mit wachem Blick und perfekt geföhntem Scheitel, schlug gezielt einen leichten Bogen ein, als er Linus bemerkte. Die anderen folgten ihm unbewusst. Linus sah an sich hinab, prüfte seine Kleidung.
Braune Dockers, eine dunkelblaue Jeans und ein hellgrauer Pullover. Er sah alles andere als bedrohlich aus. Ein bisschen verwegen vielleicht, weil er sich ein paar Tage nicht rasiert hatte. Er zerdrückte die Bierdose in seiner Hand. Es knackte.
Natürlich. Das Bier. Es lag am Bier.
Aus der Entfernung machte der Yuppie mit dem gestylten Scheitel einen arroganten Eindruck. Dass er sich für einen Sicherheitsabstand zu Linus entschieden hatte, hielt ihn offensichtlich nicht davon ab, sich über Linus lustig zu machen. Er sagte etwas zu der jungen Frau an seiner Seite. Sie musterte Linus mit herablassendem Blick.
Linus versuchte ihrem Blick standzuhalten, wicht ihm aber aus, schaute dann wieder hin.
Sie liefen nun direkt vor ihm, die junge Frau sah ihn immer noch an. Er erkannte, dass ihr Blick gar nicht so abschätzig war, wie er zunächst gedacht hatte. Es war eher ein unsicherer oder auch fragender Blick, den sie trotzig aufrecht hielt.
Ihre Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden. Über dem Haaransatz steckte eine Sonnenbrille.
Sie löste sich von dem Mann an ihrer Seite und kam auf Linus zu. Ihre Augen waren etwas glasig.
»Potzblitz. Der Demonstrant.«
Natürlich. Es lag an der Frisur. Mit den zusammengebundenen Haaren sah sie anders aus, jünger.
Linus versuchte seine Freude zu verbergen. Sie hatte ihn vor knapp drei Monaten versetzt, da fand er eine gewisse Zurückhaltung durchaus angebracht.
»Was machst du denn hier?« Sie sagte das nicht mit der gekünstelten Euphorie, die mit einer solchen Frage oft einhergeht, sondern ruhig und mit aufrichtigem Interesse.
Er hob die Schultern, sein Lächeln immer noch schwach. »Ich, ach, ich genieße die Sonne.«
»Nur die Sonne?« Sie wies mit einer Hand auf seine Bierdose.
Linus nickte und blickte an ihr vorbei zu den drei Männern in Sakkos, die sie beobachteten.
Sie folgte seinem Blick, macht eine wegwischende Handbewegung und sagte: »Die können ruhig mal warten. Warst du auch beim Spiel?«
Er zögerte. Auf einmal hatte er das Gefühl, dass ein Zweiunddreißigjähriger einen guten Grund dafür haben sollte, sich am hellichten Tage in der Öffentlichkeit Dosenbier zuzuführen.
»Meine Jungs mussten nach dem Spiel gleich los«, murmelte er. »Da muss ich den Sieg halt alleine feiern.«
Sie zog die Augenbrauen hoch.
Jemand rief ihren Namen. Der arrogante Yuppie mit dem Seitenscheitel. Er hatte sich ein paar Schritte genähert. Ungeduldig deutete er mit dem Kopf Richtung Schlachte.
Jana nahm es zur Kenntnis. Sie schien nachzudenken, richtete ihre Hand dabei auf Linus’ Rucksack. »Ist da noch eins drin?«
Er nickte.
Sie drehte sich um. »Wohin geht ihr?«
»Schlachte. Luv oder Paulaner«, rief der Yuppie.
»Geht doch schon mal, ich komme nach«, rief sie.
Das schien ihm nicht zu passen. Er verzog das Gesicht. Dann beriet er sich kurz mit den anderen.
»Wir sind im Paulaner«, rief er
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