Ausgerockt - [Roman]
unzuverlässig und oberflächlich. Sich selbst nannte er insgeheim einen naiven Idioten.
Doch je weiter der Tag voranschritt, desto weniger Raum blieb ihm für solche Gedanken. Joscha geriet ins Quatschen, und so musste Linus sich ausführliche Erläuterungen zur ersten Demo-CD anhören, die die Grobians bald aufnehmen wollten.
Er mochte Joscha, aber er mochte dieses Thema nicht. Aus eben diesem Grund hatte er noch keinen Versuch unternommen, Joscha ins Gewissen zu reden. Wenn jemand ein Lied von der geringen Wahrscheinlichkeit einer Karriere als Rockmusiker singen konnte, so war das Linus. Aber Joscha war jung. Er würde vermutlich nichts davon hören wollen.
Vielleicht hoffte Linus für Joscha und seine Grobians sogar das, was er für sich selbst zu hoffen aufgegeben hatte.
Nach Feierabend fuhr Linus nach Hause, setzte sich auf sein Sofa, starrte eine Flasche Pinot Grigio an, die er unterwegs besorgt hatte, und überlegte, ob er sie öffnen oder sich lieber ein Brot schmieren und einen Tee machen sollte. In der Wohnung war es warm und die Luft war verbraucht.
Dann, aus heiterem Himmel, mitten in seinen Überlegungen für und gegen den Weißwein, klingelte das Telefon.
Es war Jana.
Er griff nach der Flasche und stellte sie hinter das Sofa. Er kochte Tee, öffnete die Fenster und drückte sich den Telefonhörer fest ans Ohr.
Er wollte ihr seine ganze Aufmerksamkeit widmen, ihrer Stimme, und dem, was sie einander sagten. Er wollte einen guten Eindruck machen. Am Telefon musste er nicht darauf achten, wie er saß, wie er guckte, wie er aussah. Kein dümmlicher Blick konnte das, was er sagte, verderben, keine ungelenke Bewegung die hoffentlich richtigen Worte zerstören.
Als sie auflegten, war es draußen dunkel geworden. Er ließ sich auf die Couch sinken und starrte mit leicht vorgeschobenem Unterkiefer und verträumtem Blick seinen Tee an. Der Becher war noch voll, der Inhalt kalt.
An diesem Abend fühlte es sich anders an, dazuliegen, den Blick auf die trapezförmigen Lichtflächen an seiner Zimmerdecke gerichtet.
An diesem Abend fühlte es sich nicht so einsam an.
Linus lag da, mit einem seligen Lächeln, das ihn nicht mehr verließ, bis ihm die Augen schwer wurden.
Sein Handy piepte. Seine Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an die Helligkeit des Displays gewöhnt hatten und er die SMS entziffern konnte.
Warum haben wir eigentlich nicht länger telefoniert? Hier war es hinterher so langweilig. schlaf schön. ;-)
Er antwortete nicht.
Schlaf schön, dachte er.
Die Wetterstationen meldeten die höchsten Temperaturen im Mai seit zwanzig Jahren. Die Prospekte der Baumärkte und Discounter, die Linus beim Frühstück durchblätterte, enthielten in diesem Frühjahr so viele Freizeitprodukte wie nie zuvor. Zelte, Schirme, Pools, Teakholzmöbel, Springbrunnen, Wasserspiele und jede Menge winterharte Washingtonia-Palmen und Bambusgewächse. Abbildungen, die ein Gefühl von Urlaub versprachen oder Sehnsucht nach der Ferne weckten. Ein Versprechen, das die Produkte nicht hielten, eine Sehnsucht, die sie nicht stillen konnten.
Linus gibt sein Geld nicht in Baumärkten aus. Er hat keinen Balkon und keinen Garten.
Dennoch greift er neuerdings, trotz seines monatlichen Einkommens, wieder auf den Rest seines Vermögens zurück. Er braucht Geld, um mit Janas Lebensstil mithalten zu können. Wochenendtrips an die Nordsee oder kurze Städtereisen.
Jana zahlt bei ihren gemeinsamen Unternehmungen stets für sich selbst. Sogar einen Cocktail in der Happy Hour lässt sie sich ungern spendieren. Und wenn sie es doch tut, folgt meistens gleich eine zweite Runde auf ihre Kosten. Einerseits ist Linus darüber erleichtert, andererseits steht diese strikte Trennung der Rechnungen wie ein Sicherheitszaun zwischen ihnen.
Sie weiß über seine Situation Bescheid. Sie weiß nicht, wie viel Geld er hat, aber ihr ist klar, dass er nicht allein von Drink und staatlicher Unterstützung so leben kann, wie sie es tun.
Offensichtlich findet sie es spannend, mit jemandem zusammen zu sein, der auf eine geheimnisvolle Finanzquelle zurückgreifen kann. Zumindest fragt sie nie, woher er das Geld nimmt. Sie nimmt es belustigt zur Kenntnis, wenn Linus wieder einen großen Schein aus seiner Hosentasche zieht.
Wenn er alleine ist und sich die Euphorie einmal legt, macht er sich Gedanken. Seine Rücklagen sind geschrumpft. Irgendwann wird das Geld verbraucht sein.
Er hat noch knapp zehntausend Euro. Aber an den schönen Tagen, die er
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