Ausgerockt - [Roman]
Brunssen hatte es geschafft. Allerdings mit mehr Beschädigung des Balkens darunter, als ihm lieb war.
»Mann, wie solide die früher gebaut haben. Da kann sich Laminat mal schön in die Ecke stellen und schämen. Kannst du mal auf der anderen Seite annehmen?«
Linus legte den Schleifer beiseite und ging zur gegenüberliegenden Wand, auf der Brunssen die letzten zwei Dielen ebenfalls entfernt hatte. Mithilfe eines relativ stabilen Drahtes schob er ein Audiokabel unter den Dielen hindurch. Sie hatten bereits über die Hälfte des Bodens unterkabelt. Sie schafften ein Netzwerk an Strippen, deren Enden später durch kleine Bohrungen aus dem Boden treten sollten, und zwar überall dort, wo einmal Tische stehen würden.
»Das ist das letzte«, schnaufte Brunssen. »Ich krieg langsam ’nen Krampf im Arm. Kommt da was an?«
Linus lag mit dem Gesicht auf dem Holz und tastete mit seinem Unterarm blind unter dem Boden herum. »Ich hab noch nichts.«
»Mist. Hier sind schon fünf Meter Draht durch. Das ist wieder irgendwo da drunter in die falsche Richtung gelaufen.«
»Und was jetzt?«
»Kaffee!«, war Brunssens Antwort.
Brunssen trank viel Kaffee. Zu viel. Er benutzte das heiße schwarze Getränk nicht gegen körperliche Erschöpfung, sondern um sich geistig auf einen neuen Anlauf vorzubereiten und zu motivieren.
»Wird das hier eigentlich ein Raucherclub?«, fragte er, während er zwei Becher unter dem Automaten plazierte.
»Ich denke nicht.«
»Mach doch ’n abgetrennten Nebenraum. Ist doch groß genug hier.« Er drückte einen Knopf und frisch gebrühter Kaffee rieselte in die Becher.
»Wenn du die Toiletten und das Hinterzimmer nicht mitrechnest, sind es ziemlich genau fünfundsechzig Quadratmeter. Da kann ich als Nebenraum höchstens ein Iglu-Zelt aufbauen. Da legst du dich dann rein und rauchst. Wenn du mal da bist.«
»Erstens hab ich nicht vor, zu rauchen, sondern es interessiert mich generell, und zweitens: Was heißt, wenn ich mal da bin?« Brunssen nahm die vollen Becher vom Abtropfgitter und reichte Linus einen. »Ich mache hier doch nicht jeden Sonntag den ganzen Scheiß, um dann nichts davon zu haben. Ich werde hier ständig abhängen. Sieben Tage die Woche.« Er grinste. »Das is doch wohl klar.«
Er ging zur Eingangstür und hob sie etwas an, bevor er sie aufschob. Als Brunssen den Laden das erste Mal betreten hatte, hatte Linus vergessen, ihn zu warnen. Die großen Schaufensterscheiben links und rechts der Tür waren beinahe rausgefallen, als Brunssen die verzogene Tür gewaltsam aufgestoßen hatte.
Richten der Tür – das war eine der nächsten Aufgaben, die Linus zu erledigen hatte. Zum Schutze der wackeligen Schaufenster.
Im rechten Teil eben dieser Schaufenster hatte vor zwei Monaten ein Schild gehangen. Ein Schild, das Linus’ Leben gewissermaßen verändert hatte, ohne dass er die Tragweite dieser Veränderung wirklich begriffen hatte.
Linus war auf dem Weg in die Stadt daran vorbei gelaufen. An dem Tag hatte er jene vage melancholische Zufriedenheit empfunden, die ihn seit der ersten Verabredung mit Jana begleitete. Zufriedenheit, manchmal sogar Glück. Es war aber gleichwohl ein melancholisches Gefühl, weil Linus nicht glaubte, dass es mit Jana ewig so weitergehen konnte. Manchmal war er sogar der festen Überzeugung, dass es jeden Moment vorbei sein würde.
Vielleicht waren es diese beiden Faktoren gewesen, die Zuneigung zu Jana und die Angst vor ihrem Verlust, die ihn hatten inne halten lassen, als er das Schild im Schaufenster an der Friedrich-Ebert-Straße gesehen hatte.
»Ladenfläche günstig zu vermieten«. Darunter hatte eine Telefonnummer gestanden.
Linus war an die Scheibe getreten und hatte die Hände wie einen Schirm über die Augen gelegt, um durch das spiegelnde Schaufenster etwas sehen zu können. Dann hatte er sein Handy aus der Tasche gezogen.
Er hatte das Für und Wider nicht abgewogen, hatte sich nicht mit den möglichen Konsequenzen, Ängsten, Möglichkeiten und Gefahren beschäftigt. Er hatte einfach einen kühnen Moment genutzt, um zu erfahren, wie es sich anfühlte, etwas anzustoßen, teilzunehmen am Leben, statt nur zuzusehen. Und er hatte dabei an Jana gedacht.
Hinter der Telefonnummer hatte sich kein Makler verborgen, sondern eine freundliche Frau, die Eigentümerin des Hauses. Möglicherweise war die unkomplizierte Art der älteren Dame dafür ausschlaggebend gewesen, dass Linus Mut gefasst hatte, Veränderung gewagt hatte. Allerdings hatte die
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