Ausgerockt - [Roman]
Frau Linus auch ein sehr verlockendes Angebot gemacht.
Linus könne, hatte sie gesagt, den Laden ein halbes Jahr zur halben Pacht haben, wenn er ihn selbst renoviere. Die Kosten für eine solche Renovierung trügen sie jeweils zur Hälfte. Wenn er selbst viele der anstehenden Arbeiten verrichte, könne er das locker mit der gesparten Pacht bezahlen.
Linus hatte die halbe Pacht für ein ganzes Jahr verhandelt. Das hatte nichts mit kaufmännischem Geschick oder einem glücklichen Händchen im Feilschen zu tun, denn er besaß weder das eine noch das andere. Es hatte zum einen an der Gutmütigkeit der Hausbesitzerin gelegen, zum anderen an gegenseitiger Sympathie.
Am Ende war eben diese Sympathie wichtig für seine Entscheidung gewesen, die Aussicht auf günstige Pacht, auch die sehr zentrale Lage des Ladens. Und dass Brunssen ihm bei Bedarf einen Kleinkredit in Aussicht gestellt hatte, war förderlich gewesen, selbstredend, und natürlich die Tatsache, dass Linus schlicht nichts Besseres vorgehabt hatte.
Aber der wichtigste, der wahre Grund, dass er diese Sache geradezu überstürzt besiegelt hatte, dass er entgegen seiner Schwäche, seinem Unmut, seiner Angst und seiner Vernunft handelte, war Jana.
Ihr Lachen, ihr Duft, ihr Optimismus, ihr zuweilen entrückter Blick, den er auch in ihrer Abwesenheit ständig vor sich sah, ihre angenehme Stimme in seinen Ohren und eine kleine Reise nach Berlin.
Eine Reise, auf der sie ihm das Café gezeigt hatte, auf der sie in einem kleinem Nachtkino, in dem sie alleine saßen, mit ihm geschlafen hatte. Eine Reise, auf der sie bis zum Morgengrauen mit ihm getanzt hatte und ihm zum Frühstück auf den Stufen des Reichstages gesagt hatte, dass sie ihn liebt. Sie. Ihn.
Was ihn antrieb, war ihre Stärke, nicht seine.
Noch bevor der Pachtvertrag unterschrieben war, hatte Linus mit den Ladenschlüsseln und einem Schleifgerät aus dem Baumarkt in der Hand vor dem Haus an der Friedrich-Ebert-Straße gestanden.
Es war ein billiges Gerät, das bereits nach zwei Tagen seinen Geist aufgegeben hatte, woraufhin er sich ein besseres Gerät gekauft hatte, mit dem er heute über den Boden kroch.
»So, Alter! Noch die eine Scheißstrippe und dann muss ich los.« Brunssen trank seinen Becher leer und stellte ihn auf den Tresen.
Es dauerte über eine Stunde, bis sie das Kabel endlich verlegt hatten. Sie mussten auf halbem Wege den Boden aufschneiden, um den Irrläufer in die richtige Richtung zu kanalisieren.
Als sie fertig waren, klopfte Brunssen sich den Holzstaub von der Hose, trank eine kleine Flasche Wasser in einem Zug leer und verschwand ohne große Worte. Er hatte noch eine Verabredung.
Linus saugte grob den Raum durch, und dann setzte er sich auf einen der Camping-Stühle, die Jana besorgt hatte.
Kritisch betrachtete er sein bisheriges Werk.
Ohne Brunssens Einsatz an den letzten vier Wochenenden wäre er längst nicht so weit. Für einige Arbeiten hatte er Handwerker kommen lassen, die er, wie auch Werkzeuge und Material, von seinem eigenen Geld bezahlt hatte.
Aber das meiste hatten sie selbst gemacht, wobei Brunssen sein umfangreiches handwerkliches Geschick bewiesen hatte.
Auch Joscha Drink war da gewesen, um zu helfen. Seine Hilfe hielt sich zwar in Grenzen, da er meistens die Demo-CD seiner Band Grobians mitbrachte, die er dann mit sich selbst diskutierte, aber für Linus war das Gesellschaft, und Gesellschaft erleichterte die Arbeit, solange sie nicht von ihm verlangte, die Arbeit zu unterbrechen, um geselliger zu sein.
Joscha hatte zumindest alle Wände weiß vorgestrichen, durchaus eine Erleichterung für Linus’ Hände.
Der weite, helle Raum sah im Licht der untergehenden Sonne gemütlich aus.
Stilistisch sollte es eine Mischung aus Ikea-Heimeligkeit und bunt-modernem Siebziger-Retro werden. Zumindest schwebte Linus das so vor. Die eine Seite des Raumes würde ein paar klassische Tonträger-Verkaufsregale bieten, zur Hälfte mit Neuware und zur anderen Hälfte mit gebrauchten, aber sehr ausgewählten Platten und CDs, die Linus als »Warmgehörtes« auszeichnen würde. Außerdem würde er anbieten, alte Mix-Tapes seiner Kunden aufzubereiten und digitalisiert auf CD zu brennen. Die würde er wiederum nicht nur dem Auftraggeber, sondern auch anderen interessierten Kunden anbieten. Sie würden den Vornamen und das Jahresdatum des Auftraggebers tragen, und Linus würde die Cover authentisch gestalten.
Auf der anderen Hälfte der Ladenfläche war das Café vorgesehen.
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