Ausgerockt - [Roman]
Motorhaube und das Dach des Wagens und heben vor den Scheiben siegesgewiss die Daumen.
Der Audi dringt über eine dünne Vene von außen direkt ins Herz des Stadions, während die Fans sich der pulsierenden Hauptschlagader überlassen.
Linus ist heilfroh, dass er nicht Schlange stehen muss.
Von der Tiefgarage des Weser-Stadions führen verwinkelte Treppen hinauf in den offenen Bereich, der eine vielseitige Gastronomie bereithält. Eine bunte Auswahl verschiedener Buffets, vom Edelfisch bis zur Currywurst. Überall schwirren Köche, Servicekräfte, Sicherheitsleute und gepflegte Hostessen herum, die stets lächeln und den Weg zu den Toiletten kennen.
Vom offenen Bereich gelangt man über zwei Gänge, die wie Halbringe links und rechts das Stadion umklammern, zu den Logen. Wie die Glieder einer Kette reihen sich die einzelnen Logen aneinander. Die Loge der Bank befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Vereinsloge.
Vom Management des SV Werder trennt Linus lediglich die Loge eines Bremer Logistikunternehmens.
Es sind kaum eigene Mitarbeiter der Bank zugegen. Die meisten der zirka dreißig Anwesenden sind Kunden, die der Einladung einer Handvoll Funktionäre gefolgt sind. Man bedient sich reichlich am Buffet, trinkt Kaffee oder auch Wein von einem eigenen glanzpolierten Mahagoni-Tresen und pustet den Rauch teurer Zigarren ins Stadion hinaus. Vor der Loge wie auch vor den anderen großen Logen befinden sich ein paar überdachte Rangplätze im Freien.
»Die meisten Leute hier«, so erklärt Jana diskret, »sind weniger am Spiel interessiert als daran, Kontakte zu knüpfen.«
Linus nickt.
Jana stellt ihm die wenigen Leute vor, die sie selbst bereits kennt. Sie hat offenbar auch keine Probleme damit, den Kreis zu erweitern. Kontakte knüpfen, das A und O.
Linus merkt schnell, dass die Funktion erst mal wichtiger ist als die Persönlichkeit. Wer arbeitet wo und in welcher Position. Wer kennt wen und was bringt ihm das.
Als Linus selbst mit der Frage nach seiner Funktion konfrontiert wird, springt Jana ihm zur Seite und antwortet, er sei selbstständiger Gastronom.
Linus stutzt. Er fügt schließlich hinzu, dass er sich im Übergang von der Getränkelogistik in die Gastronomie befinde. Er hofft, Jana damit zum Lachen zu bringen, zieht erwartungsvoll die Augenbrauen hoch und beobachtet ihre Reaktion. Sie bleibt vollkommen ernst. Also lieber keine Scherze, denkt er.
Der Herr, der ihnen gegenüber steht, gibt sich zufrieden. Er hebt sein Glas und schlägt vor, dass sie nun alle eine kleine Getränkelogistik machen sollten. Mit einem Ruck kippt er sich ein halbes Glas Weißwein runter.
Linus ist eine reglementierte Situation wie diese unangenehm. Er weiß jetzt zwar, was er sagen und verschweigen soll, aber erleichtert ist er deswegen nicht.
Er fragt sich, ob Jana erleichtert ist. Erleichtert, dass er sich nicht als Gitarrist und Kistenschlepper offenbart hat. Als der, der er eigentlich ist. Welch ein unglückseliger Gedanke.
Schnell strengt das rhetorische Ausschmücken seines Daseins ihn an. Beschönigungen implizieren Mängel in der Realität. Jana hat die Entscheidung getroffen, dass sie beschönigen müssen.
Noch ein unglückseliger Gedanke.
Kurz vor Ende der ersten Halbzeit ist Linus’ Gesicht zu einer verunsicherten starren Fratze geworden.
Ein Mann mittleren Alters, Prokurist bei Kraft-Foods oder ein Abgeordneter der Bürgerschaft, Linus bringt es möglicherweise durcheinander, steht vor ihm, zieht an einer Zigarre und tätschelt ihm kumpelhaft die Schulter. Er hat eine Knollennase, die – wahrscheinlich vom Schnapskonsum – rot leuchtet.
»Tolles Mädchen, deine Freundin. Oder Frau?«
»Nein, nein. Sie ist meine Freundin. So weit sind wir noch nicht.«
»Hm. Dann wird es ja Zeit. Bevor noch jemand kommt und sie wegschnappt, was?«
Der Mann grunzt versehentlich durch die Nase.
Linus nickt nachdenklich. Bevor jemand sie wegschnappt. Ein unglückseliges Thema.
Der Halbzeit-Pfiff ertönt. Linus wirft einen Blick zur Loge des Logistikunternehmens, wo gerade eine Runde Bier gereicht und über einen Witz gelacht wird.
»Und? Was machen Sie?«, fragt der Mann mit der roten Knollnase.
Na bitte, denkt Linus. »Kisten.«
»Container. So, so.«
»Nein. Kisten. Getränkekisten.«
»Ah. Hier, Nordmann? Oder Haake Beck, oder was?«
»Nein. Eine kleine Getränkemarkt-Kette. Drei Märkte. Drink. Schon mal gehört?«
»Drink, Drink, Drink. Ich glaube nicht. Das ist ihre?«
»Nein, ich war da kürzlich
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