Ausgerockt - [Roman]
Stabile helle Tische, umgeben von Regalen, auf denen sich weitere Platten, CDs und auch Bücher befanden. Alles konnte man kaufen, aber ebenso gut bloß ausprobieren.
Die Tische würden alle mit Kopfhörern ausgestattet. Jeder Gast würde die Wahl haben, die über Kopfhörersystem angebotene Tagesempfehlung zu hören oder eine von ihm selbst mitgebrachte oder hier vorgefundene CD in einem der unter den Tischen angebrachten Player anzuhören. Oder natürlich ganz auf Kopfhörer zu verzichten und leise im Hintergrund rieselnder Jazzmusik zu lauschen oder sie zu ignorieren.
Das Ganze würde wie Internet zum Anfassen sein. Die Neuware entsprach einem Einkauf bei Amazon, die gebrauchten Sachen einer Auktion bei Ebay, und das Mitbringen eigener CDs würde einer Tauschbörse wie Napster entsprechen.
Aber das würde, wie bei seinem Vorbild, dem Café in Berlin, nicht den Gewinn abwerfen, sondern das Wohlbehagen der Gäste fördern, die hier Kaffee, Tee, Säfte, Wein und besonders gutes Mineralwasser trinken würden. Und damit, so hoffte Linus, würde er dann Geld verdienen.
Linus schaltete den Halogenstrahler aus, den sie zu späterer Stunde immer zum Arbeiten benutzten, weil die Lampen noch fehlten. Es war ein zutiefst irritierendes Gefühl, den eigenen Laden zu verlassen.
Jedes Mal.
Im Zimmer war es heiß. Sie hatten eine Flasche Wein getrunken. Zwei Faktoren, die sie ebenso verlässlich wie kräfteraubend am Schlafen hinderten.
Sie sahen sich lange in die Augen. Das schummrige Licht der Straßenlaternen verschleierte die Abgeschlagenheit in ihren Gesichtern.
»Willst du das eigentlich wirklich?«, fragte sie.
Ihre Stirn war kraus, die Augen wach. In den letzten Wochen war sie immer wieder wie frischer Wind in den Laden gezogen, hatte sich neugierig um die eigene Achse gedreht, um alles zu betrachen, und war schnell wieder verschwunden. Hatte die Zweifel mitgenommen und Energie zurückgelassen.
»Natürlich«, flüsterte Linus. Es klang, als wollte er sich selbst überzeugen, und nicht etwa sie, als er die Stimme etwas anhob, um es zu wiederholen. »Natürlich.«
Sie lächelte unsicher. »Findest du es schlimm, dass ich nicht helfe?«
»Nein«, flüsterte er. »Ich weiß, warum du nicht hilfst.«
»Ja?«
Er nickte, sein Kopf lag auf seinem rechten Ellenbogen. »Du willst, dass es meine Sache ist. Und bleibt.«
Sie nickte, scheinbar erleichtert, weil sie ihm nichts erklären musste. Ihr Kopf lag auf dem linken Ellenbogen.
Eine Weile noch sah sie ihn an, dann wurden ihre Lider schwer.
Linus stand auf, wanderte um sein Bett herum und stieg auf der anderen Seite wieder hinein. Er rutschte ganz nah an sie heran, passte seinen Körper ihrem Rücken und ihren Beinen an und schob seinen rechten Arm über ihre Hüfte. Sie nahm seine Hand, zog sie an ihr Gesicht und küsste seine Finger. Er schloss die Augen, synchronisierte sich mit der Atembewegung ihres Oberkörpers, spürte ihre Wärme in sich übergehen und atmete den Duft ihrer Haare ein.
Jana hatte ihn belebt, hatte das Hadern, Wüten, Zweifeln zur Erinnerung gemacht. Vorübergehend.
Sie hatte wie ein Arzneimittel funktioniert, das für die Dauer der Einnahme die Symptome linderte. Heilung hingegen konnte es nicht bringen.
Ausgerechnet an dem Samstag, den Linus so lange herbeigesehnt hatte, versagte die Wirkung seines Medikaments, verkehrte sich sogar ins Gegenteil.
Sie fahren mit Sönke Kühnemanns Wagen, einem großen Audi, direkt in die Tiefgarage des Weser-Stadions ein. Sönke Kühnemann ist Janas Chef. Einer der Stellplätze der Bank, für die Janas Agentur arbeitet, ist für ihn reserviert.
Im Schritttempo lenkt er den Wagen durch den Fanstrom am Stadion. Jana sitzt auf dem Beifahrersitz, Linus auf der Rückbank.
Linus mag die Vorstellung, dass eine ganze Stadt kollektiv an etwas glaubt, und wenn es nicht Gott ist, so ist es zumindest die eigene Fußballmanschaft.
Jubel blüht auf im Stadion und schlägt von dort Wellen durch die ganze Stadt, wenn die Mannschaft ein Tor schießt. Und wenn es eine Niederlage zu beklagen gibt, leiden die Bremer kollektiv.
Ob drei Punkte, einen Punkt oder keinen, einen Grund zum Anstoßen gibt es hinterher immer.
Es ist Linus’ erster Samstag beim Fußball. In weniger als vier Stunden wird er einer der Menschen sein, die am frühen Abend am Osterdeich entlangschlendern. Er hat keinen Werder-Schal, aber er wird unter jenen Leuten wandeln, die ein Leben haben. Ganz sicher.
Ein paar Fußballfans klopfen auf die
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