Ausgerockt - [Roman]
Freizeit.«
»Ist es eben nicht.« Ein unterdrücktes Schimpfen. Sie zieht an seinem Jackenärmel. »Komm jetzt.«
»Lass uns doch laufen. Lass uns doch am Osterdeich entlang zurückspazieren.«
»Was?« Jana sieht ihn ungläubig an. »Mein Chef steht seit zehn Minuten unten und wartet. Glaubst du, den schicke ich jetzt weg?«
»Klar. Warum nicht?«
»Bitte.« Ihre Stimme klingt fast flehend. »Mach so was nicht, Linus.«
»Was denn? Wieso denn? Wir sind doch frei. Der Termin ist vorbei. Wir können spazieren gehen. Du hast Feierabend!«
»Und wenn er uns noch zum Essen einladen will?« Jana klingt jetzt verzweifelt.
Ihre Souveränität ist auf instabilem Grund errichtet. Linus glaubt, dass nicht viele Menschen das wissen, aber er weiß es.
»Du kannst ja laufen. Ich muss jetzt runter.« Sie seufzt.
»Du lässt mich stehen, um mit deinem Chef essen zu gehen?«
Sie sieht ihn mit großen Augen an und versucht es wieder mit festerer Stimme. »Bitte. Was ist denn los mit dir, Linus? Du bist ein bisschen betrunken, oder?«
Er muss lachen. Aber es ist nicht das gewöhnliche nette Lachen, das Jana kennt, mag. Es ist ein absurder, höhnischer Laut.
Sie schaut ihn verständnislos an, diese Sekunden. Sie dreht sich um und verschwindet auf den Treppen. Diese Konsequenz überrascht Linus. Er bleibt zurück.
Er wartet darauf, dass sie wiederkommt, tippelt nervös mit den Füßen auf dem Boden und mit den Fingern an der Hose.
Zwei Sicherheitsleute am Treppenaufgang beobachten ihn. Auch einige der Hostessen am gegenüberliegenden Tor zum Rang sind auf ihn aufmerksam geworden.
Linus Gedanken lösen sich auf wie der Schaum im letzten Bier.
Er steht noch eine Weile herum, tippelt unschlüssig von einem Fuß auf den anderen.
Die Sicherheitsleute sind bald verschwunden, doch die Hostessen beobachten ihn immer noch. Wenn er hinsieht, schauen sie weg.
Sie müssen ihn für irgend jemand Besonderen halten. Für etwas Besonderes. Sie gucken so interessiert. Er ist jemand Besonderes. Gucken sie interessiert? Oder ist das Bedauern? Vielleicht.
Vielleicht bedauern sie aber auch Jana und finden ihn einfach nur lächerlich.
Linus läuft den Osterdeich entlang. Trottet denen mit dem Leben in weitem Abstand hinterher.
Er geht an die Promenade, die Schlachte. Und er trinkt, trinkt einfach weiter, Bier aus Dosen, von Getränkepavillons an der Weser, und davon vorsätzlich zu viel, und im falschen Moment, am falschen Tag, bis es spät wird und ein kühler Wind aufkommt und die Bierbänke an den Pavillons immer leerer werden.
Er ruft Holger an, wieder. Diesmal nimmt Holger ab. Sie reden kurz, über irgendwas. Über was?
Linus legt auf und setzt sich auf eine Bank.
Und dann weiß er nicht mehr, ob das Gespräch überhaupt stattgefunden hat.
Die plötzliche Kälte hat die Menschen nach Hause oder in die Kneipen getrieben.
Linus genügt es, an der harten steinernen Uferbefestigung zu sitzen, neben jemandem, dem er vertraut. Früher haben sie das oft getan.
Es fällt ihm nicht mehr schwer, das Bier durch seine Kehle laufen zu lassen, auch wenn sein Magen schon voll ist.
Er lässt sich auf die Steine zurückfallen. Er schließt die Augen und spürt die unförmigen Steine in seinem Rücken und Regentropfen auf seinem Gesicht. Sein Magen gerät in Wallung und er glaubt, sich übergeben zu müssen, doch er schluckt kräftig dagegen an.
Er öffnet den Mund und sammelt ein paar Tropfen auf seiner Zunge.
»Wasser«, hört er jemanden sagen.
Er macht die Augen auf und dreht den Kopf zur Seite. Holger sitzt neben ihm und sieht ihn mit glasigen Augen an. Er ist unrasiert, trägt eine zerrissene Lederhose und ein schwarzes Hemd. Seine Haut ist ganz blass und sein Hemd an den Schultern durchnässt.
»Das wird jetz etwas heftich mit dem Regen, hä?«, lallt Linus.
»Wir sind doch nicht aus Zucker«, sagt Holger und grinst dabei etwas schief, wie so oft. »Hast du gesehen, dass mein DSDM-Video schon über 40.500 Views hat?«
Linus reagiert nicht. Holger sagt: »Von mir aus könn wir auch ne Runde baden gehen.«
Linus stützt sich auf und richtet seinen müden Blick auf die Weser. Der Regen hat die Wasseroberfläche aufgerauht. Die Sonne ist bereits hinter dem Museum auf der anderen Seite des Flusses verschwunden, über dessen Dach sich das Kraft-Foods-Logo dreht. Es sieht aus, als gehöre es zum Museum und nicht zum dahinter liegenden Turm.
Holger spricht von Dingen, von Jana und von Linus und auch von sich selbst, aber Linus kann
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