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Ausgerockt - [Roman]

Ausgerockt - [Roman]

Titel: Ausgerockt - [Roman] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: FUEGO
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zufrieden zu geben.
    Ein verwirrter abgewrackter Ritter auf einem Kreuzzug, dessen Sinn nur er selbst kannte.
    Linus war bei Holgers Heldentaten fast immer dabei gewesen, hatte gesehen, wie er einem angefahrenen Hasen das Genick gebrochen hatte, wie er in ein schmuddeliges Hafenbecken gesprungen war, um eine Möwe zu retten, deren Flügel ölverklebt waren, hatte Holgers schlimmste Abfuhr bezeugt, die ihm eine amtierende Miss Sachsen bei der Werbeveranstaltung eines Autohauses erteilt hatte, hatte ihn in Einkaufspassagen pinkeln sehen, zuletzt auch beim Megastar-Casting, und war Zeuge gewesen, wie Holger alten Damen über die Straße half.
    Und dieser Mann, der volltrunken Schlagzeug spielte, bis die Drumsticks brachen und die Felle rissen, dieser Mann war neben Brunssen die einzige Vertrauensperson, die Linus hatte.
    Und Holger würde er wirklich alles anvertrauen. Wann immer er jemanden brauchte, Holger würde da sein. Linus hatte keine Familie. Er hatte Holger und Brunssen.
    Aber wie lange noch? War Holger bewusst, dass diese Fehlkonstruktion ihn das Leben kosten konnte, dass es möglicherweise seine letzte Aktion sein würde? Hatte Linus die Anzeichen übersehen oder sie verdrängt?
    Vielleicht wusste Holger, dass der Drachen nicht fliegen konnte, vielleicht hatte er sein Schlagzeug verkauft, den Erlös den Punks in der Lloydpassage gespendet und das Klingelschild an seiner Wohnung abgeschraubt. Vielleicht hatte er das Schild auch dran gelassen und seinen Vornamen mit einem schwarzen Trauerbalken verziert. Zuzutrauen wäre es ihm.
    Das Knattern des Hubschraubers zerschnitt die Luft, der Rotor wälzte sie um. Der Helikopter flog eine stete Acht über dem Turm. In den Momenten, in denen er die Kreuzung seiner eigenen vorgezeichneten Schleife passierte, verstand man sein Wort nicht mehr.
    Linus merkte das, als er sich mit einem kräftigen »Also gut!« anzuspornen versuchte, seine Worte aber selbst nicht hörte.
    Holger lag in über zehn Metern Entfernung unter seiner Konstruktion, deren unmittelbarer Anblick Linus nicht etwa beruhigte, sondern seine Befürchtungen bestätigte.
    Vom vorderen Ende einer kurzen Mittelstange reichten zwei lange Querstangen zu den Flügelspitzen. Dünne Endstangen hielten den dunkelblauen Stoff auf Spannung. Vorne am Drachen prangte in der Mitte eine Art Ramm-Nase. Es sah nach dem klassischen Aufbau eines Drachenfliegers aus, allerdings waren die Maße besorgniserregend. Die Flügelflächen erschienen Linus bei Weitem nicht groß genug. Eine Tragekonstruktion für einen Menschen konnte Linus nicht sehen. Sie musste sich logischerweise unter den Flügeln befinden.
    Holger zog unentwegt an der unteren Leine. Er tat dies vermutlich, um sich zu vergewissern, dass die Leine gut hielt.
    Nein, sterben will Holger an diesem Abend nicht, dachte Linus. Aber er wird es, wenn er sich mit diesem Ding vom Dach stürzt.
    »Hey!«, schrie Linus.
    »Gehen Sie zurück!«, schrie Holger. Dann blickte er unter dem linken Flügel seiner Konstruktion hervor.
    Zuerst zog er erstaunt die Augenbrauen hoch, aber gleich darauf tat er so, als überrasche Linus ihn bei etwas Belanglosem wie Fernsehen oder Zeitung lesen.
    »Ah, du bist’s. Schön. Kannst mir helfen!«, rief er. Dabei schnallte er die gerade gelöste letzte Leine wieder an das Geländer. Er schien zu glauben, sein Drachen könnte ohne diese Sicherung sonst vorzeitig abheben.
    Gemessen an den Umständen, in denen er sich befand, machte Holger einen recht vernünftigen Eindruck. Das hatte Linus auch nicht anders erwartet.
    Diese Aktion war nicht der Auswuchs einer emotionalen Überreaktion, nicht im Affekt begangen oder unter dem Einfluss von Drogen. Nein, diese Sache war von langer Hand geplant.
    Linus dachte an Holgers letzte Kurznachricht. Du wirst von mir hören, ich plane was Großes, hatte er geschrieben.
    Während Linus sich zeitweise abgekapselt und seine Depression gepflegt hatte, war Holger losgezogen und hatte sein Versprechen wahr gemacht. Das musste man ihm lassen. Dafür, dass er das ganz alleine gemacht hatte, war es durchaus etwas Großes.
    Er hatte die Aufmerksamkeit einer kompletten Großstadt, zweier norddeutscher Rundfunkanstalten und des Privatfernsehens erlangt. Bisher.
    Linus machte zwei Schritte in seine Richtung, sehr langsam, geradezu bedächtig. Er hatte schon viele Filme gesehen, in denen es auf dem Dach einer amerikanischen Großstadt zu einer solchen Situation gekommen war. Immer ging der Psychologe sehr langsam auf den

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