Ausgerockt - [Roman]
Gefährdeten zu.
Holger unterbrach seine Arbeit und sah Linus eben so belustigt an, als wollte er sagen: Beweg dich doch normal, wir sind hier nicht im Kino.
»Hast es auf MTV abgesehen, was?«
Holger nickte und überprüfte erneut die Konstruktion, indem er an den Verbindungspunkten und Nähten rüttelte und an den Strippen zog. »Du kennst das Spiel. Irgendjemand muss den Leuten mal in den Arsch treten.«
Dann sah er wieder auf und rief: »Freu dich, Linus, der jemand bin ich. Das wirst du irgendwann deinen Kindern erzählen.«
»Falls ich welche bekomme!«, rief Linus zurück.
Holger prüfte weiter, und Linus fragte sich, ob Holger das nur aus Verlegenheit tat, ob er etwas tun musste, in Bewegung bleiben musste, damit er nicht den Mut verlor.
»Da mach dir mal keine Sorgen. Die richtige Frau hast du doch schon. Ein Haufen super Gene sind das. Wenn ihr nicht ein paar vernünftige Kinder gebacken bekommt, wer dann?«
Linus fragte sich, ob dies der richtige Zeitpunkt war, um Holger auf den Stand der Dinge zu bringen.
Vielleicht würde es ihm die Blödsinnigkeit dieser Aktion vor Augen führen, weil es ihn irgendwie auf den Boden den Tatsachen zurückholen würde. Normale Neuigkeiten von bedingt normalen Menschen. Möglicherweise war Holger seit Tagen in einer Art Rauschzustand, der das Festhalten an dem Plan bis zur finalen Durchführung überhaupt erst ermöglichte.
Andererseits fand Linus seine Neuigkeiten angesichts der Situation äußerst belanglos.
Er sagte es trotzdem: »Wir sind nicht mehr zusammen.«
Der Helikopter schwirrte jetzt wieder direkt über ihren Köpfen. Holger wartete einen Moment, zog entschuldigend die Schultern hoch, bis der Hubschrauber sich wieder etwas entfernt hatte.
»Das tut mir leid!«, rief er.
Der Windschlag der Rotorblätter hatte ihm eine neue, wilde Frisur verpasst. Er griff nach einem offensichtlich liegen gebliebenen Seil. Doch anstatt sich zu wundern, warum dieses Seil nicht Teil seiner Konstruktion war, begann er einfach, es aufzurollen. Dabei sah er Linus an. »Umso wichtiger, dass du hier bist, Alter. Sie wird dich im Fernsehen sehen.«
Er zeigte nach oben in den Himmel, ohne nachzusehen, wo genau der Hubschrauber sich jetzt befand. »Sie wird dich sehen und ihre Freundinnen werden sagen: Das ist dein Ex? Warum ist er dein Ex? Er ist berühmt.«
Linus lächelte schwach. »Ich hab unsere Freundschaft in letzter Zeit ziemlich vernachlässigt.«
»Welche Freundschaft?«, fragte Holger.
Bei diesen Worten spürte Linus ein Ziehen im Magen. Er versuchte nicht mal im Geiste zu widersprechen. Holger hatte vollkommen recht. Was sollte das schließlich für eine Freundschaft sein, wenn man sich nicht einmal die Mühe machte, auf Kurznachrichten, dieser minimalsten und unverbindlichsten Form des Kontakts, zu antworten?
Linus’ Holger-SMS-Archiv bestand schon aus über fünfundfünfzig Nachrichten, von denen er bestenfalls zehn beantwortet hatte.
»Du hast recht. Ich bin in letzter Zeit kein guter Freund gewesen!«, rief Linus.
Holger lachte. »War ’n Scherz. Nu mach dir mal keine Sorgen.«
Linus wäre über diesen Scherz gerne beleidigt gewesen, denn er belegte, dass Holger mit ihm spielte.
Aber stattdessen empfand Linus Erleichterung. Und das passte besser zu dem Verhältnis, das sie hier oben auf dem Turm der Baumwollbörse zueinander hatten.
Linus verhielt sich defensiv, ja geradezu reumütig. Holger hingegen ließ keinen Zweifel daran, dass er seine Sache durchziehen würde und dass es eine sehr untergeordnete Rolle spielte, ob Linus nun hier war oder nicht.
Sie verhielten sich wie Sandkastenfreunde, die sich gestritten hatten und sich nun langsam wieder annäherten.
»Geht das auch für zwei Personen?« Linus deutete auf den Drachen. Er wusste für den Moment nichts anderes zu sagen.
»Das bezweifle ich.« Holger zog den Reissverschluss einer großen Sporttasche zu seinen Füßen auf und hob einen mittelschweren Ghettoblaster heraus. »Wir wären zu schwer und würden vermutlich zwei Stockwerke unter MTV landen. Also im Keller.«
Linus nickte. »Wie soll das alles hier ablaufen? Kann ich was helfen?«
Holger dachte nach. »Ja. Vielleicht kannst du das tatsächlich. Also pass auf.«
Er stemmte die Hände in die Hüften und blickte um sich. »In der Tüte da vorne befindet sich ein Transparent. Das wird zuerst aufgespannt, und zwar an den beiden Haken, die sich an den äußeren Punkten des Geländers befinden. Das Plakat ist fünf mal drei Meter groß.
Weitere Kostenlose Bücher