Ausgesaugt

Nordmanhattan gefallen ist. Digga geht gegen die internen Widersacher vor, um sich anschließend auf Kampfhandlungen an der Grenze vorzubereiten, ist jedoch angeblich bereit, einen Waffenstillstand zu verhandeln, den er bei der ersten Gelegenheit brechen wird.
    Einer von Predos Männern schlägt mir den Zigarettenstummel aus der Hand, die anderen packen mich und halten mich wieder fest.
    Predo kratzt mein inzwischen getrocknetes Blut vom Ende der Hufzange.
    – Das sind ja wahrhaft erschreckende Neuigkeiten. Wie konnte es mir nur entgehen, dass das wohl umstrittenste Grundstück in Manhattan den Besitzer gewechselt hat? Ist es möglich, dass ich als Sicherheitschef der Koalition keinen Zugang zu dieser Information hatte? Nun, darauf gibt es eine einfache Antwort. Nein, das ist nicht möglich.
    Er lässt die Zange auf- und zuschnappen.
    – Wirklich, Pitt, ist das alles, was Sie haben? Als ob ich das nicht schon längst wüsste und mir den Rest zusammenreimen könnte. Natürlich werden wir einen Waffenstillstand aushandeln. Natürlich wird Digga ihn bei der ersten Gelegenheit brechen. Allerdings werden wir ihm zuvorkommen. Intrige und Gegenintrige, Pitt. Auf wen würden Sie setzen? Auf DJ Grave Digga oder auf mich?
    Er überprüft, ob die Krawatte nicht etwa aus dem Hemd gerutscht ist.
    – Kommen wir nun zu Ihrem anderen Daumen.
    Ich schließe die Finger meiner gesunden Hand darum.
    – Das schwangere Mädchen ist in Amandas Unterschlupf.
    Er steht vor meinen Füßen und betrachtet die Zange in seiner Hand.
    – Also gut.
    Er wendet sich ab.
    – Das ist tatsächlich ein lohnendes Gesprächsthema.
     
    Der Strom reißt nicht ab.
    SUVs und Lieferwägen voll mit Koalitionssoldaten rollen in die oberste Etage des Parkhauses.
    Ich habe nicht annähernd genug Finger, um sie alle zu zählen. Selbst bis vor kurzem hatte ich nicht genug Finger dafür. Es sind Dutzende. Möglicherweise über hundert. Die ganze Mannschaft. Nur die wenigsten kommen in eleganten schwarzen Anzügen, die meisten tragen Overalls oder schwarze Hosen, Windjacken und Sweatshirts. Vier sind in Polizeiuniform, sechs andere tragen schwarze Kampfanzüge komplett mit Körperpanzerung und Seilen mit Karabinerhaken und Kohlefaserwurfhaken.
    Ich hocke in der Ecke, in die sie mich geworfen haben, als die ersten Fahrzeuge die Rampe heraufkamen. Da erinnere ich mich an etwas. Ich erinnere mich, wie ich vor einem Jahr zum ersten Mal im Haus der Heilung auf der Upper East war. Und ich erinnere mich an das Parkhaus, das sich nur ein paar Gebäude entfernt auf derselben Straßenseite befand.
    Lydias Behauptung, die Koalition würde auf ihrem eigenen Territorium kein wildes Feuergefecht zulassen, war wohl für den Arsch.
    Darüber denke ich nach. Obwohl meine Konzentration in erster Linie dem Versuch gilt, mit einer Hand eine Zigarette zu drehen, überlege ich, wie dieses Feuergefecht wohl ausgehen wird. Bei so viel Artillerie, wie hier im Spiel ist, muss man zwangsläufig über so was nachdenken. Trotzdem stellt die Zigarette eine echte Herausforderung dar. Dass ich so viel Tabak auf dem Boden verstreue, ist nicht das Problem: Ich kratze ihn einfach wieder zusammen und versuche es erneut. Leider habe ich bei meinen Bemühungen schon einige Papers zerrissen. Und die werden mir bald ausgehen. Eigentlich ist es ja keine einhändige Übung, denn mir stehen ja immerhin sieben Finger zur Verfügung. Nach ungefähr zehn Versuchen habe ich schließlich etwas, das ich mir in den Mund stecken und anzünden kann. Sieht zwar eher nach einem zerknitterten Bonbonpapier als nach einer Zigarette aus, doch damit kann ich leben.
    Als ich endlich am Rauchen bin, kommt Predo zu mir rüber. Er hat die Ärmel immer noch hochgekrempelt, die Krawatte jedoch wieder aus dem Hemd gezogen und die Handschuhe abgelegt. Vorerst. Wenn er könnte, würde er sich wohl so schnell wie möglich wieder dranmachen, meine Finger weiter zu bearbeiten.
    Er betrachtet für einen Augenblick das Handy, das ihm einer seiner Männer hinhält, dann tippt er ein paarmal auf dem Bildschirm herum und nickt. Der Typ mit dem Telefon und der Schläger, der mich bewacht, ziehen ab.
    – Machen wir’s kurz, Pitt.
    Ich nehme einen Zug.
    – Sicher. Sie haben hier ja eine Riesensache zu koordinieren. Ich wusste gar nicht, dass Sie jetzt im Actionfilmgeschäft sind.
    Er verzieht keine Miene. Irgendwie hat er heute keinen Sinn für Humor.
    – Woher wissen Sie, dass sich die junge Frau dort befindet?
    – Von Percy, einem