Ausgesaugt
bedarf ich nicht.
Die Schläge gegen die Tür im obersten Stock werden lauter. Sela schreit.
– Doch, weil die da oben dir nämlich die Beine ausreißt, wenn sie dich in die Finger kriegt.
Ich drücke dem Jungen das schwangere Mädchen in die Arme, lasse sie los, und es gelingt ihm, sie richtig zu fassen, bevor sie auf den Boden fällt.
– Los.
Er setzt sich in Bewegung. Schneller als zuvor, aber nicht schnell genug. Ich folge ihnen zum nächsten Treppenabsatz. Das zugehörige Stockwerk ist verlassen. Jetzt ist es ruhiger. Sela schreit nicht mehr. Da es eine Etage höher nicht mehr nach Blut riecht, haben sich die dortigen Bewohner offensichtlich ebenfalls wieder beruhigt.
Von ganz oben ist das Klimpern von Schlüsseln zu hören.
Jeder Vollidiot hätte sich denken können, dass Amanda ebenfalls einen Satz Schlüssel bei sich trägt.
Scheiße.
Ein Stockwerk tiefer wurde anscheinend ein großer Büfetttisch als Rammbock benutzt, um die Tür aufzubrechen. Dabei ist wohl eines der Stahlbeine abgeknickt. Ich hebe es auf – es ist hohl und hat ziemlich scharfe Bruchkanten.
Ich höre Amanda flüstern. Dann wieder das Klimpern der Schlüssel. Die Tür fliegt mit einem Krachen auf. Ich sehe nach oben, und im selben Moment springt Sela über das Geländer und segelt im freien Fall durch den Treppenschacht. Alles ist ruhig bis auf die Luft, die an ihr vorbeizischt, und das kaum hörbare Klopfen, das ertönt, wenn sie sich in dem engen Treppenschacht seitlich abstößt – wie eine riesige Katze, die über einen Holzboden läuft. Mit dem Kopf voraus schießt sie auf das mir gegenüberliegende Geländer zu, stößt sich mit aller Kraft davon ab, ändert die Richtung und saust nun direkt auf mich zu. Wenn sie mich frontal erwischt, bin ich geliefert. Wahrscheinlich wird sich dieses jämmerliche, dünne Tischbein glatt verbiegen, wenn ich damit nach ihr schlage, doch zumindest könnte ich sie damit so aus der Bahn werfen, dass ich noch eine halbe Treppe weiterrennen kann.
Eine Pistole. Warum lasse ich nur ständig meine Knarren irgendwo liegen?
Dann hat sie mich erwischt.
Ich stoße mit der scharfen Kante des Tischbeins nach ihr. Durch ihren eigenen Schwung bohrt es sich tief in die weiche Stelle über ihrem Schlüsselbein. Sie prallt gegen mich und wir gehen zu Boden. Ihr Blut spritzt in mein Gesicht. Es schmeckt wie Säure. Ich komme nicht an mein Messer. Sie schreit und rollt sich von mir herunter. Das Tischbein ragt aus ihrer Schulter, der rechte Arm baumelt nutzlos herab. Anscheinend hab ich irgendwas Wichtiges durchtrennt. Ich krieche zur Kante des Treppenabsatzes und rolle die Stufen hinunter. Sie gibt ein feuchtes Husten von sich. Das Stuhlbein steckt in ihrer Lunge. Ich stolpere die nächste Treppenflucht hinab.
– Joe.
Phil, Chubbys Tochter und der Junge stehen vor der Tür, die zur Straße führt.
– Joe! Die Schlüssel, Mann!
Ich richte mich auf. Die gottverdammten Rippen sind schon wieder gebrochen. Langsam gehe ich auf die Tür unter der Treppe zu.
Phil schüttelt den Kopf.
– Ach Scheiße. Nein, Mann! Nein. Hier raus, Mann.
Ich hole den Schlüsselbund raus.
– Da draußen wird Predo uns alle umbringen.
Ich klimpere mit dem Schlüsselbund vor seiner Nase.
– Und Sela lebt noch.
Sie schreit. Ich höre, wie sich oben etwas bewegt.
Phil nimmt die Schlüssel.
– Scheißescheißescheiße.
Er öffnet die Schlösser.
Der Junge kommt näher. Er hält nach wie vor Chubbys Tochter in den Armen.
– Ich glaub, da unten ist es nicht sicher.
Ich höre ein Geräusch, das klingt, als würde eine rostige Kette über eine Schiefertafel geschleift.
Chubbys Tochter schüttelt den Kopf.
– Dort lauert Gefahr.
Ich schubse beide durch die offene Tür, zerre Phil mit und schließe die Tür hinter uns.
– Schließ ab, Phil.
– Und was, wenn wir schnell abhauen müssen?
– Schließ die Scheißtür ab, Phil.
Er verriegelt ein Schloss nach dem anderen und flucht dabei.
– Angeschissen. Jetzt sind wir angeschissen. Doppelt angeschissen. Völlig im Arsch.
Das einzige Licht stammt von einem trüben Notausgangsschild über der Tür. Weiter unten ist alles schwarz. Ein Heulen ertönt. Die gute Nachricht: Was auch immer da unten lauert, es ist noch nicht über uns hergefallen und hat uns getötet.
Das ist schon mal ein kleiner Hoffnungsschimmer.
Wir steigen nach unten.
Die Wände und Treppen sind aus Beton. Phil und das Mädchen tasten sich mit einer Hand an der Wand voran, da das Licht
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