Ausgesaugt

über der Tür irgendwann zu schwach wird und sie so gut wie blind sind. Ich gehe voran, da ich immerhin noch vage Umrisse erkennen kann. Der Junge bildet die Nachhut. Er ist zwar ein Anfänger, aber er kann zumindest ein bisschen was sehen.
    Als wir endlich das Ende der Treppe erreichen, bemerke ich, dass etwas von der Decke hängt. Und in einer Ecke steht ein blockförmiges Etwas. Ich rieche Benzin, gehe auf das Etwas zu, fummle dran herum, ertaste den Einfüllstutzen, schütte Kraftstoff ein und betätige den Handstarter. Nach dreimaligem Anreißen erwacht der Generator zum Leben und bringt die Arbeitslampe über uns zum Leuchten.
    – Sir.
    Ich drehe mich zu dem Mädchen um.
    – Ich fürchte, wir sind nicht sicher hier.
    Sie trägt Mokassinstiefel mit Fransen, mehrere Spitzenröcke und eine Leinenbluse, die sich über ihrem Bauch spannt. Die dünnen Dreadlocks hat sie zu einer Turmfrisur zusammengesteckt. Außerdem ist sie ohne Ende mit Armreifen, Ringen, Halsketten und Amuletten behängt. Der Junge trägt dieselben Stiefel, nur in Schwarz. Die braune Cordhose hat er in die Stiefel gestopft. Dazu eine Art Piratenhemd, eine schwarze Lederjacke mit Schulterklappen, eine ganze Kollektion von Silberamuletten an Lederringen, die entweder von seinem Hals baumeln oder an die Jacke geknotet sind. Er hat einen dünnen Ziegenbart.
    Ich trete zur Tür unter der Arbeitslampe.
    – Wenn’s euch hier nicht gefällt, dann könnt ihr ja wieder raufgehen.
    Sie reibt sich die Arme.
    – Sollte dies nicht eine Zuflucht für uns sein? Ein sicherer Hafen, zum Schutz vor dem aufziehenden Sturm?
    Es handelt sich um eine massive Stahltür. Weitere Schlösser, davor eine Eisenstange, deren Enden in Gelenken stecken, die an den Beton geschraubt sind.
    Phil hebt einen Finger.
    – Joe.
    Das Mädchen besieht sich einen Müllhaufen neben der Wand.
    – Mein Vater sprach in den höchsten Tönen von Percy. Doch die Wirklichkeit erschütterte all unsere Hoffnungen. Er war mehr Narr denn weiser Mann. Das Hood selbst schien mir für farbige Menschen Gefängnis, nicht Paradies. Heilung. Schon das Wort allein versprach Sicherheit. Wie hätten wir ahnen können, was uns dort erwartet?
    Am liebsten würde ich mir die Finger in die Ohren stecken, doch stattdessen muss ich mir überlegen, wie wir hier wieder rauskommen.
    Die Belüftung hier unten ist nicht der Rede wert. Die Abgase des Generators werden in ein Plastikrohr geleitet, das mit Klebeband an der Wand befestigt ist und zu einem kleinen Luftschacht über der Tür führt. Aus demselben Luftschacht kommt ein Kabelbündel, das sich an der Wand entlangschlängelt und in einem Loch verschwindet, das neben der Stahltür in den Boden gebohrt wurde.
    Phil kommt näher.
    – Joe.
    Der Junge auch.
    – Ich hatte ihre Telefonnummer. Die wird unter der Hand weitergegeben, egal ob innerhalb der Koalition oder der Society. Jeder kann mit dieser Nummer einen Gesprächspartner beim Clan Heilung erreichen. Ganz am Anfang gab’s wohl auch so was wie eine Telefonseelsorge. Jedenfalls musste ich ein paarmal anrufen, bis jemand rangegangen ist. Es war Sela. Ich hab ihr gesagt, wer wir sind und was wir wollen. Was Delilah in sich trägt. Sie hat uns zu einem Gebäude geschickt.
    Er deutet nach Norden.
    – Auf der 72nd. Das gehört auch zu Heilung . Wenn man beim Hausmeister klingelt, ertönt hier oben ein Alarm, und man wird reingelassen und dann in eine Seitenstraße geschickt. Dort hat Sela auf uns gewartet und uns dann hierhergebracht.
    Das Mädchen schüttelt den Kopf.
    – Das war das erste Anzeichen drohenden Ungemachs.
    Phil räuspert sich.
    – Joe.
    Der Junge nickt.
    – Genau. Sela sah nicht unbedingt... gesund aus. Sobald wir im Haus waren, haben wir begriffen, dass es nicht das war, wonach wir suchten.
    Das Mädchen deutet die Stufen hinauf.
    – Fräulein Horde schien von Sinnen. Sie versuchte, uns mit ihren Worten zu besänftigen, doch ich spürte etwas anderes.
    Sie berührt ihre Stirn.
    – Delilah sieht bestimmte Dinge. Ist so ähnlich wie Hellsehen.
    Sie hebt die Handfläche.
    – Eine Gabe, die mir verliehen wurde. Ich sah, dass sie gar Schreckliches mit dem Kind vorhatte. Schon bald sollten sich meine Befürchtungen bestätigen. Sie gab uns zu trinken, doch der Trunk machte uns müde.
    Ich presse mein Gesicht gegen die Tür und schnüffle in den Türspalt.
    Wieder das Kettengerassel. Ein Stöhnen. Keine Ahnung, wie viele es sind. Ich rieche das Vyrus. Aber es riecht anders als sonst.