Ausgesaugt
Amanda Horde. Sie ist zwar durchgeknallt, doch sie scheint die Sache inzwischen durchschaut zu haben. Hat sich jedenfalls so angehört.
Sie verschränkt die Arme.
– Welche Sache?
Ich ziehe einen Stiefel an und versuche, ihn zuzubinden.
– Das Vyrus. Diese Sache in uns, du weißt schon.
Sie steht einfach nur da.
Ich ziehe mir den anderen Stiefel an.
– Sie hat mir ziemlich viel über das erzählt, was in mir steckt. Was in uns allen steckt.
Nächster Schnürsenkel.
– Das Vyrus nämlich. Das steckt schon immer in uns. Behauptet sie zumindest. Und sie behauptet, dass ich gar nicht infiziert wurde. Nur aktiviert. Dass irgendwo in mir ein Schalter umgelegt wurde, ein Schalter, der schon immer da war. Man hat mich nicht in einen Blutsauger verwandelt. Ich bin seit jeher einer gewesen.
Ich stehe auf.
– Wenn ich sie da richtig verstanden habe, ist das bei uns allen so.
Ich gehe zu meiner Jacke hinüber. Sie hängt an einem Haken über dem Heizkörper. Ich habe sie vorhin notdürftig abgewaschen und jetzt ist sie fast trocken.
– Niemand hat uns in Vampyre verwandelt. Wir waren schon immer Vampyre.
Ich ziehe mir die Jacke über.
– Was ich tue, Lydia, ist ganz natürlich. Es liegt in meiner Natur.
Ich gehe auf sie zu.
– Und in der Hinsicht unterscheiden wir beide uns kein bisschen.
Und an ihr vorbei.
– Wenn du dagegen ankämpfen willst, nur zu.
Ich öffne die Tür.
– Ich hab was Besseres vor, als mir selbst in den Hintern zu treten.
Überall im Haus lungern Terrys Partisanen und Lydias Leute herum. Sie werfen sich gegenseitig vernichtende Blicke zu, während sie Macheten schärfen, schäbige abgesägte Schrotflinten laden, die Abzüge ihrer wenigen Maschinenpistolen überprüfen und Molotow-Cocktails in Rucksäcke stopfen.
Ich muss an die brandneue, auf dem Schwarzmarkt gekaufte Militärausrüstung der Koalition denken, die ich im Parkhaus gesehen habe. Wenn uns nur ein paar von denen derart bewaffnet gegenüberstehen, frage ich mich, wie hoch sich die Leichen wohl stapeln müssen, damit ich und wer sich sonst noch so in der Nachhut befindet, unbeschadet fliehen können.
Das sind ganz finstere Aussichten.
Terry ist in einem Zimmer im ersten Stock, der nach Weihrauchzeder und Anilintinte riecht. Lennon und Lenin starren sich von Postern an gegenüberliegenden Wänden aus an. Auf dem Boden liegt eine Matratze mit einem Schlafsack, in der Ecke steht ein Campingstuhl vor einem alten Schulschreibtisch. Ein Plattenspieler dudelt einen Song von der Exile on Main St.: »Ventilator Blues«.
Terry sitzt auf dem Stuhl. Er trägt jetzt Kampfstiefel, ausgewaschene Levis und eine US-Armeejacke aus der Vietnamära mit einem Peace-Zeichen in den Farben der amerikanischen Flagge auf dem Rücken. Die Jacke steht offen und gibt den Blick auf ein Che-Guevara-T-Shirt frei.
Er ist gerade damit beschäftigt, eine AK-47 zu putzen.
Ich nicke ihm zu.
– Bereit, für die Freiheit zu kämpfen?
Er wiegt das Sturmgewehr prüfend in der Hand.
– Das ist der Plan, Joe. Das war schon immer der Plan.
Ich gehe zum Plattenspieler rüber, betrachte das Plattencover und höre eine Weile zu.
– Stimmungsmusik?
Er zieht einen Putzstock mit einem daran befestigten Wattebäuschchen aus dem Lauf.
– Traurigerweise gibt es Zeiten, in denen Aggression angebracht ist. Dieses Lied hat mir immer dabei geholfen, mich psychisch auf einen bevorstehenden Ausbruch der Gewalt vorzubereiten.
Ich lege die Plattenhülle wieder weg.
– Es macht dir Lust aufs Töten.
Er legt an.
– Nichts auf dieser Welt, Joe. Rein gar nichts...
Dann drückt er den Abzug der ungeladenen Waffe und horcht auf das Klicken des Bolzens.
– ... macht mir Lust aufs Töten.
– Nicht mal ich?
Er rammt ein Bananenmagazin in den Schacht.
– Zugegeben, du hast mich in dieser Angelegenheit mehr als einmal in Versuchung geführt, aber ich bin nicht der Typ, der diese Möglichkeit, und sei es in der größten Wut, anders als mit Missbilligung erwägt.
Ich trete zum Fenster und lehne mich gegen die Sperrholzplatten, mit denen es verbarrikadiert ist.
– Wer hat denn was von erwägen gesagt? Ich rede davon, es zu tun.
Er legt die Waffe auf seinem Schoß ab.
– Was soll ich sagen, Mann? Ist eben nicht mein Ding.
Ich nicke.
– Aber du hast es noch in dir, Ter. Machst vielleicht nicht mehr viel Gebrauch von dieser Fähigkeit, aber du hast sie noch in dir.
Er nimmt eine schwarze Wollmütze vom Tisch, setzt sie auf und steckt seinen
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