Ausgesetzt
gar nicht stehen sollen. Sie hätte im Sommerhaus sein sollen und auf den Vater warten.
Bobby hatte gelogen, was den Vater anging.
Er hatte gelogen, als er sie am Flughafen abgeholt und ihnen erzählt hatte, der Vater habe das Telegramm mit dem Datum ihres Rückflugs aus Jamaika erhalten. Der Vater hatte dieses Telegramm nie zu Gesicht bekommen, denn Bobby hatte es abgepasst und an sich genommen. Und er hatte gelogen, als er ihnen erzählte, der Vater warte im Sommerhaus auf sie und habe Bobby geschickt, damit er sie direkt dorthin bringe. Und Bobby hatte auch nicht den Führerschein, doch sein Vater hatte es aufgegeben, ihn den ganzen Tag im Auge zu behalten. Vielleicht hatte er sich ja sogar eingeredet, dass er sich vor fünf Jahren in der Sache mit Alex Johnson geirrt hatte.
Und als sie im Haus ankamen und der Vater nirgends zu sehen war, da hatte Bobby auch gelogen und gesagt, der Vater sei wahrscheinlich in Weirtown, um fürs Abendessen einzukaufen.
Bobby hatte seine Schwester angesehen, mit einem, wie er hoffte, unschuldigen Blick. Und dann hatte er Kyle angesehen.
Kyle trug sein Haar auf indianische Art offen über die Schulter fallend. Er war schlank, sprach leise und in singendem Tonfall. Sein Gesicht war dunkel und empfindsam.
Bobby hatte ihn über drei Jahre nicht gesehen, er hatte sie alle über drei Jahre nicht gesehen. Aber damals, als Bobby in Jamaika gewesen war, hatte ihm der junge Ehemann, wie er von seiner Arbeit auf den Ausflugsbooten zurückkehrte, keine Ruhe gelassen.
Und alles war nach Plan gelaufen.
Er hatte Kyle gefragt, ob er mit ihm spazierengehen wollte, während seine Schwester versuchte, den Jungen zu einem Schläfchen zu bewegen.
Sie waren zusammen unter den hohen, weit ausladenden Bäumen hinter dem Haus spazierengegangen. Bobby war kurz zurückgeblieben und hatte den Hammer geholt, den er da versteckt hatte. Das Blut hatte ihm freudig in den Adern gepocht, als er Kyle den Hammer auf den Hinterkopf schlug.
Und er und Kyle waren zusammen die Leiter hochgeflogen, hoch über den French River, hoch über die Wälder, verheddert in Seile, hatten einen zuckenden Tanz hoch über der Welt vollführt.
Und dann hatte Bobby sich von Kyle gelöst.
Und dann hatte seine Schwester geschrien.
Sie stand gerade mal fünf Meter von ihm entfernt, den Jungen an der Hand, und schrie.
In diesem Augenblick war aus Vollkommenheit Chaos geworden. Bobby war sofort klar gewesen, dass er zwar alles wunderbar bis zu diesem Moment geplant, aber eigentlich gar nicht überlegt hatte, wie es danach weitergehen sollte. Er hatte nur an Kyle gedacht. Kyle, den Schönen.
Er war einfach davon ausgegangen, dass seine Schwester den Mund halten musste, weil sein Vater es nicht zulassen würde, dass ihm etwas Schlimmes widerfuhr, weil er ihn wieder beschützen würde. Aber sie hielt nicht den Mund, und der Junge sah zu ihr hoch, klammerte sich an sie, in Angst und Schrecken, weil seine Mutter in Angst und Schrecken war, auch wenn er nicht wusste, warum. Und auch der Junge fing an zu schreien. Alles ging schief.
Bobby lief zu ihr, hielt ihr das Messer an den Hals und befahl ihr, still zu sein. Sei still. Sei still.
Er stieß sie den Weg entlang zurück und schleppte den Jungen mit. Er zwang sie, sich vorne in den Wagen zu setzen und setzte den Jungen auf den Rücksitz. Der war jetzt vollkommen still, die Augen starr, der Körper steif. Von dem Kind ging keine Störung mehr aus, aber Lennie schluchzte noch immer, bekam kaum Luft. Sie schlug mit dem Kopf gegen das Armaturenbrett, als wolle sie sich bewusstlos schlagen. Wieder und immer wieder.
Bobby schaffte es, den Wagen auf die Straße nach Toronto, heim zu seinem Vater, zu manövrieren. Er fuhr so schnell er konnte und versuchte, das Geräusch zu ignorieren, mit dem der Kopf seiner Schwester immer wieder gegen das Armaturenbrett schlug.
Vater konnte sich bestimmt denken, was passiert war. Wie immer.
Bobby sah sich nach dem Jungen um. Der hatte sich nicht gerührt. Er fixierte seine glänzenden neuen Schuhe.
Schließlich hörte Lennie auf zu weinen. Sie saß da und sah aus dem Fenster, das Blut lief ihr in kleinen Bächen übers Gesicht. Aber Bobby traute dieser Stille nicht. Er wusste jetzt, dass sie zur Polizei gehen würde, egal was der Vater sagen oder von ihr verlangen würde. Bobby wusste einfach, dass sie es tun würde.
Als er in Richtung Süden auf den Highway 69 auffuhr, entspannte er sich langsam. Er sah zu seiner Schwester hinüber. Ihr Kopf lag
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