Ausgesetzt
der Stadtwerke geparkt, den Motor abgestellt, die Augen geschlossen und war ein paar Minuten später in einen unruhigen Schlaf gefallen.
Als ein Wagen neueren Baujahrs vor dem Gemeindeamt stehen blieb, war er bereits wieder wach. Er beobachtete, wie eine große, stattliche Frau sich herausschälte, schwerfällig die Stufen hochstieg, die Eingangstür aufschloss und hineinging. Er hatte in ihr die Angestellte wiedererkannt, die ihnen eine Woche zuvor den Weg nach Mary’s Point beschrieben hatte. Sie hatte das Taxi nicht bemerkt.
Die Sonne war jetzt aufgegangen. Müde stieg Walker aus. Auf einem Berg in der Ferne fingen die Bäume gerade an, sich rot und golden zu verfärben. Etwas Schneidendes lag in der Landluft, das ihn weckte, erfrischte.
»Ich brauche Ihre Hilfe«, sagte er zu der Angestellten.
Sie war gerade dabei, sich zu schminken, und blickte überrascht auf den Besucher, der so früh am Morgen vor ihrem Schalter stand und sie durch die offene Tür des Waschraums beobachtete.
»Erinnern Sie sich an mich?«, fragte Walker.
»Ich glaube schon.« Die Frau kam ins Büro, doch ihr frisch geschminktes Gesicht hatte einen Ausdruck der Ratlosigkeit angenommen.
»Ich war vor ein paar Tagen mit einer Freundin hier. Wir wollten wissen, wie man nach Mary’s Point kommt.«
»Oh, diese junge Frau! Ja!«, sagte sie, und fügte dann rasch hinzu. »Ich erinnere mich an Sie beide.«
»Mary’s Point haben wir gefunden, aber nicht das, wonach ich gesucht habe.«
»Was meinen Sie damit?«
»Dass ich wirklich Ihre Hilfe brauche«, antwortete Walker.
Die Frau hörte den Anflug von Verzweiflung in seiner Stimme und trat näher an den Schalter. Walker zögerte einen Augenblick, dann erzählte er ihr, dass er mit drei Jahren ausgesetzt worden war und dass er auf der Suche nach seiner Mutter war.
Der Mund der Frau formte sich zu einem kleinen O.
Das einzige, was er über sie wisse, fuhr Walker fort, sei, dass sie am 2. Juni 1964 als kleines Mädchen vor dem Ferienhaus einer Familie Miller in Mary’s Point fotografiert worden war.
Walker erzählte ihr die Geschichte seiner Kindheit in Big River, wie er nach Toronto gekommen war und Taxifahren gelernt und sich auf die Suche gemacht hatte. Während er sprach, schüttelte die Frau in trauriger Verwunderung den Kopf.
Schließlich stellte er die Frage, auf die er hingearbeitet hatte. »Zahlen die Leute, die Häuser in Mary’s Point besitzen, Gemeindesteuern?«
Sie sah ihn genauer an, ließ einige Sekunden verstreichen. »Natürlich.«
»Wie bekommen sie ihre Steuerbescheide? Verschicken Sie sie per Post?«
»Zweimal im Jahr.«
»Eine Frau, die ich am Strand getroffen habe, erinnerte sich an die Millers. Sie haben ihr Haus vor Jahren verkauft. Aber wenn sie, sagen wir, in Toronto wohnen, hätten Sie die Bescheide an die Wohnadresse geschickt?«
Die Frau war nicht dumm, das sah er. Mehr musste er nicht sagen. Ja, er spürte, dass er nicht mehr sagen durfte.
»Sämtliche Informationen hier sind vertraulich«, sagte sie schließlich.
Walker sagte nichts.
»Steuerlisten und -veranlagungen sind vertraulich«, sagte sie.
Walker sagte nichts.
»Wir haben alle relevanten Daten im Computer. Das, was älter als 1985 ist, steht auf Karteikarten. Diesen Sommer hatten wir eine Studentin hier, die die alten Sachen in den Computer eingegeben hat. Janis Turcott, die älteste Tochter von Wilma Turcott. Sie kennen Sie natürlich nicht. Sie geht aufs McMaster, ein nettes Mädchen, sie ist im ersten Jahr.«
Walker bewegte sich nicht.
Die kräftige Frau blickte aus dem Fenster. Niemand war zu sehen. Sie wandte sich um und ging zu einer Tür im hinteren Teil des Büros.
»Wir heben soviel von den alten Unterlagen auf, wie es nur geht«, fuhr sie fort, »aber der Platz wird knapp. Wir bräuchten eine historische Gesellschaft hier, mit eigenen Räumlichkeiten und einem eigenen Archiv. Seit Jahren höre ich immer wieder ›Das ist eine gute Idee, Marilyn‹, aber kein Mensch macht was.«
Sie öffnete die Tür, machte hinten im Raum ein Licht an und verschwand.
Als sie mit leeren Händen zurückkam, begann Walkers Hoffnung zu schwinden. Sie ging zu einem Schreibtisch, setzte sich, putzte sich die Nase und fing an, Papiere herumzuschieben.
Ein wenig später sagte sie, ohne Walker anzusehen: »Ich kann Ihnen die Adresse der Millers nicht sagen, aber wenn Sie es in der Rosewood Avenue 1628 in Toronto versuchen würden, lägen Sie nicht weit daneben.«
»Danke«, sagte Walker.
Sie
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