Ausgesetzt
antwortete nicht. Sie blickte nicht auf. Sie fing an, die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch in drei Stapeln aufzuhäufen, ganz so, als wäre sie allein in ihrem Büro, als wäre Walker nicht da, nie dagewesen.
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12
B obbys Vater nahm sich die Zeit, hinunterzufliegen und persönlich mit Major J. K. Kellum zu sprechen. Er saß über eine Stunde mit Kellum in dessen Büro, vermochte aber nicht, den Major von seinem Entschluss abzubringen. Bobby würde wegen seines brutalen Überfalls auf Carlo Dimarco von der Schule verwiesen und aus dem Regiment ausgestoßen werden.
Für Bobby kam das überraschend. Zwar hatte Dimarco aus einer Wunde auf der Stirn geblutet, dort wo die Kante des Holzknüppels ihm auf den Schädel geknallt war, und sein rechtes Auge war schlagartig unter der Schwellung verschwunden, die sich zu einem großen, blauen Osterei auswuchs – trotzdem hatte Bobby erwartet, dass er Stillschweigen bewahren würde. Aber Dimarco, die Schwuchtel, hatte ihn auflaufen lassen.
Bobby hatte ihn halbblind und blutend in der Senke liegen lassen. Er selbst war auf unsicheren Beinen in den Schlafsaal zurückgelaufen, mitsamt den Kleidern ins Bett gekrochen und hatte einem seiner Stubenkameraden erzählt, er habe Grippe. Bewegungslos hatte er dagelegen, bis die Lichter ausgingen, und die ganze Nacht kein Auge zugetan.
Es war ganz allein Dimarcos Schuld. Er sollte ihn umbringen. Genau. Was hatte es da zu grinsen gegeben? Was hatte der sich denn eingebildet? Bobby zitterte vor Wut am ganzen Körper, dann wurde ihm kalt und er fühlte sich ausgelaugt.
Dann, bei der Erinnerung an Dimarco, wie er dagelegen hatte, bemächtigte sich seiner eine verräterische Erregung. Schließlich kehrte die Wut zurück.
Er würde Dimarco fesseln. Er würde ihn erwürgen. Er sah Dimarco vor sich, zwischen zwei Bäumen in der Luft, mit geschwollener, heraushängender Zunge, sah ihn tot.
Bobby leistete Widerstand, solange er konnte. Dann berührte er sich. Dimarco rotierte vor ihm an seinem Seil, Bobby fühlte sich in seiner Hand wachsen, Dimarco war tot …
Am nächsten Morgen beim Appell sah Bobby sich um, doch Dimarco war nicht da. Am Vormittag dann, Bobby hatte gerade Sozialkunde, fragten zwei ältere Jungen nach ihm. Sie fassten ihn an den Armen und marschierten mit ihm über den Platz zum Büro von Major J. K. Kellum.
Der Major wartete in voller Montur auf ihn. Er schritt auf und ab, während Bobby auf einem harten Holzstuhl mit kerzengerader Rückenlehne saß. Er sagte ihm, der Bürgermeister von Harristown sei dagewesen und habe ihm mitgeteilt, dass sein Sohn in diesem Augenblick mit Gehirnerschütterung und einer Blutung im rechten Auge im Krankenhaus liege. Wusste Bobby etwas darüber?
Bobby antwortete sehr laut, wie er es gelernt hatte: »Nein, Sir!«
Der Major sagte: »Warum, glaubst du, habe ich mir ausgerechnet dich herausgesucht, wenn du nichts damit zu tun hast? Habe ich mir einfach einen Namen aus dem Hut gezaubert? Hattest du einfach Pech? Oder meinst du, dass Dimarco jemanden beschuldigt hat?«
Bobby überlegte einen Moment. Was hatte Dimarco wohl erzählt? Hatte er seinem Vater alles gesagt? Alles nicht! War der Bürgermeister von Harristown heute morgen den Berg hochgerast, in das Büro des Majors geplatzt, und hatte er Bobby beschuldigt, seinen Jungen besprungen zu haben?
Bobbys Hirn machte sich selbständig und flatterte im Zimmer herum wie ein Vogel.
Der Major beugte sich jetzt zu ihm, sein riesiges, flaches, rotes Gesicht war nur wenige Zentimeter von Bobbys entfernt. Seine Augen waren blutunterlaufen. Bobby konnte die violetten Adern auf seiner Nase sehen.
Hast du deinen Pipimann herausgezogen? Bist du ganz feucht geworden? Hast du versucht, den Jungen in den Hintern zu ficken? Bobby konnte diese schrecklichen Worte fast hören – hörte sie –, was hatte der Major da gerade gesagt?
Der grimmige Mund des Majors hatte sich nicht bewegt.
Irgendwoher hörte Bobby ein Knurren, ein leises Grollen. Sein Kopf fühlte sich an, als würden ihn zwei riesige Hände zusammendrücken, die Augen wollten ihm schier aus dem Kopf fallen. Das Zimmer war voll Watte. Die Luft erfüllt von Bienengesumm.
Bobby zog sich zurück. Er sagte kein einziges Wort mehr. Sein Körper saß noch immer in Habachtstellung vor Major J. K. Kellum, aber Bobby war nicht da.
Und während der zwei Tage bis zur Ankunft seines Vaters sprach er mit niemandem – nicht mit dem Major, nicht mit der Schulkrankenschwester, nicht mit
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