Ausgespielt
Cheney. Allein der Gedanke hatte schon etwas Erotisches, und wie ein pawlowscher Hund hätte ich als Reaktion darauf beinahe gewinselt. Ich drückte die Taste und vernahm seine Stimme. Zehn Wörter. »Hey, Babe. Ruf mich an, wenn du nach Hause kommst.«
Ich wählte seine Nummer. »Hey, du«, sagte ich, als er sich meldete. »Hab ich dich geweckt?«
»Macht nichts. Wo warst du denn?«
»Mit Reba unterwegs. Ich habe jede Menge zu berichten.«
»Gut. Komm her und bleib über Nacht«, schlug er vor. »Ich mache dir arme Ritter zum Frühstück, wenn du brav bist.«
»Ich kann nicht. Sie holt mich morgen früh um acht hier ab.«
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»Wieso das?«
»Ist ’ne lange Geschichte. Erzähl ich dir, wenn wir uns sehen.«
»Und was hältst du davon, wenn ich dich abhole und dich morgen früh rechtzeitig wieder nach Hause bringe?«
»Cheney, ich kann selbst fahren. Du wohnst nur zwei Meilen weit weg.«
»Ich weiß, aber ich will nicht, dass du zu so später Stunde allein durch die Gegend kurvst. Die Welt ist gefährlich.«
Ich lachte. »Läuft das jetzt so weiter? Du gibst den großen Beschützer, und ich bin fügsam wie ein Lämmchen?«
»Hast du eine bessere Idee?«
»Nein.«
»Gut. Dann hole ich dich in zehn Minuten ab.«
256
20
Ich setzte mich draußen an den Randstein und wartete auf ihn, nachdem ich in ein schwarzes T-Shirt mit Rollkragen und einen meiner neuen Röcke geschlüpft war. Es war der dritte Abend in Folge, an dem ich ihn sehen würde. Wie bei einer Glückssträhne am Würfeltisch musste es zwangsläufig irgendwann damit vorbei sein. Schwer zu sagen, ob es zynisch oder vernünftig von mir war, das einzusehen. Ich wusste, wie der Abend verlaufen würde. Im ersten Moment, wenn ich ihn sah, wäre mein Gefühl neutral – ich wäre zwar froh, in seiner Nähe zu sein, würde mich aber nicht unwiderstehlich zu ihm hingezogen fühlen. Wir würden über Belanglosigkeiten plaudern, und nach und nach würde er in mein Bewusstsein dringen: der Geruch seiner Haut, sein Gesicht im Profil, die Form seiner ums Lenkrad gelegten Hände. Er würde spüren, dass ich ihn musterte, und sich zu mir umwenden. Sobald der Blickkontakt zwischen uns zustande gekommen war, würde erneut dieses leise, entfernte Summen einsetzen, das durch meinen Körper vibrierte wie die ersten Vorboten eines Erdbebens.
Seltsamerweise fühlte ich mich bei ihm nicht in Gefahr.
Nachdem ich in Beziehungen zu Männern so oft grobe Fehler begangen hatte, neigte ich dazu, vorsichtig und distanziert zu sein und mir alle Optionen offen zu halten, falls aus der Sache doch nichts werden sollte. Unweigerlich ging jede Beziehung in die Brüche, was wiederum nur dazu beitrug, meinen Argwohn zu schüren. Rückblickend erkannte ich, dass Dietz das Spiel genauso gespielt hatte wie ich, was bedeutete, dass ich bei ihm sicher war, jedoch aus den völlig falschen Gründen: sicher, weil er immer irgendwo anders steckte, sicher, weil er
wahrscheinlich gar nicht dazu imstande war, zu mir zu stehen, und vor allem deshalb sicher, weil seine Distanziertheit ein 257
Spiegelbild meiner eigenen war.
Ich hörte Cheneys Wagen lange, bevor er aus der Bay in die Albanil einbog. Seine Scheinwerfer leuchteten auf, und ich erhob mich, während ich im Stillen den Verlust meiner Umhängetasche verfluchte. Mir war nichts anderes übrig geblieben, als ein paar Sachen in eine Papiertüte zu packen wie ein Kind sein Pausenbrot: saubere Unterwäsche, eine
Zahnbürste, meine Geldbörse und die Schlüssel. Cheney war wieder mit herabgelassenem Verdeck unterwegs, doch beim Einsteigen merkte ich, dass die Heizung auf vollen Touren lief, was bedeutete, dass zumindest die Hälfte meines Körpers es warm haben würde.
Er bemerkte die Tüte. »Ist das dein Übernachtungsgepäck?«
Ich hielt die Tüte hoch. »Sie gehört zu einem Set. Ich habe noch neunundvierzig weitere in meiner Küchenschublade.«
»Schöner Rock.«
»Den verdanke ich Reba. Ich wollte ihn eigentlich nicht kaufen, aber sie hat darauf bestanden.«
»Gute Wahl.« Er wartete, bis ich mich angeschnallt hatte, ehe er losfuhr.
»Ein Wahnsinn, was wir hier machen. Schläfst du eigentlich nie?«
»Ich habe dir einen Rundgang durchs Haus versprochen.
Letztes Mal hast du ja außer der Schlafzimmerdecke nichts gesehen.«
Ich hielt einen Finger in die Höhe. »Ich habe eine Frage.«
»Und zwar?«
»Bist du auf die Art so schnell im Hafen der Ehe gelandet? Du lernst die gute alte Wie-heißt-sie-noch kennen und
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