Ausgetanzt
geschmeckt.«
Natürlich marschierte Berenike am nächsten Tag
in die Josefstädter Straße. Die vertrauten engen Gassen boten
Orientierungsrichtlinien in einer zerfließenden, nicht mehr präsenten Welt. Das
Theater in der Josefstadt, der Löwenhof, in dem sie aufgewachsen war, alles
seit Jahrzehnten das Gleiche in seiner abgelebten, protzigen Bürgerlichkeit.
»Neue Frisur?«, monierte Rose, nachdem sie Berenike umständlich
die dreimal versperrte Wohnungstür geöffnet hatte. Beletage, von den Großeltern
geerbt. Muffige Luft umfing Berenike. Das Vorzimmer, in das Jenny gerade
gehüpft kam, war seit Berenikes letztem Besuch noch mehr vollgestellt worden.
Das Mädel kam nach der Schule zur Großmutter, während ihre Mutter arbeitete.
Jetzt lauschte sie dem armseligen Fragment eines Gesprächs zwischen Rose und
Berenike. Ach Mutter, dachte sie. Sie waren schon immer unterschiedlich
gewesen. Auch wenn ihre Mutter ihr in ihrer Krise beigestanden war, so
gestaltete sich das Verhältnis nicht gerade einfach. Rose hatte Berenikes
Entscheidung, ihrem früheren Berufsleben abzuschwören und einen Neuanfang im
Ausseerland zu machen, nicht recht verstanden. Jetzt starrten sie beide, Nichte
und Mutter, Berenike minutenlang an, sahen ihr nicht in die Augen, sondern
genau darüber.
»Na ja«, machte Rose. So fragmentarisch waren ihre
Gespräche schon seit jeher gewesen. Und dann war das Essen fertig.
Dreizehn
Grusinischer Tee
Es war Samstag geworden und Zeit für den zweiten
Versuch, Mehmet aufzuspüren. Sicherheitshalber wollte Berenike die anderen
Cafés mit Namen Istanbul überprüfen. Falls sich Amélie geirrt hatte. Oder
Mehmet eine falsche Spur gelegt hätte. Als Erstes ging es daher mit der Straßenbahn
zum Brunnenmarkt. Ein Mann mit Bierdose in der Hand stieg schwankend ein und
setzte sich Berenike gegenüber. Gut, dass sie bei der nächsten Station
aussteigen musste. Diese Art von Großstadtflair war sie wirklich nicht mehr
gewohnt.
Draußen schlich sie die herrlich bunte Brunnengasse auf und
ab, in der Sarmakraut neben Halal-Fleisch angeboten wurde, aber auch das beste
Fladenbrot, das sie kannte. Das alles wiederum gab es auf dem Land so gut wie
nicht.
Sie schlenderte herum, immer einen jungen Türken suchend, mit
knackigem Hintern und dem gewissen Auftreten. Hier war das zweite Café Istanbul
– gleich neben einem Waffengeschäft. In der Auslage lauerten Messer,
Schusswaffen, alles da für den Fall der Fälle … ein Mann kam heraus, ging
nebenan ins Café. Es war noch nicht viel los dort, und sie konnte Mehmet nicht
sichten unter den wenigen Gästen.
Auch hier, wie schon in Favoriten, Brautmodegeschäfte nach
türkischem Stil, dazu Bobo-Lokale inklusive Erleuchtungsangebot, sobald man den
indischen Laden beträte. Stattdessen roch es nach angebranntem Kaffee,
schauderhaft. Zumindest war das Wetter heute eine Spur kühler, ein wenig Wind
wehte. Berenike hatte ein weit ausgeschnittenes rotes T-Shirt zu einem kurzen
Rock angezogen. Der Stoff klebte auf der Haut. Wieder ergriff sie für einen
kurzen, heftigen Moment Sehnsucht nach Altaussee. Nach seinen grünen Wiesen,
kühlen Wäldern, schmalen Pfaden und dieser frischen Luft, die es sonst nirgends
gab. Ein Ausseer Geist musste sie bezaubert haben … Sie rief schnell Hans an.
Glück gehabt: Die Lage am See hatte sich beruhigt, keine neuen Regenfälle.
Dagegen waren in Bad Goisern Muren abgegangen.
Um die Ecke am Yppenmarkt gönnte sich Berenike eine Pause in
einem kleinen Café. ›Grusinisher Tee‹ stand in altmodischen Buchstaben auf
Teekisten, die protzig in der Auslage drapiert waren. Man machte hier gern auf
international. Wie gut, dass auch die Bobo-Nomaden irgendwann weiterzogen ins
nächste Stadtviertel. Sie sollten ›Georgischen Tee‹ schreiben, dachte Berenike.
Dann würden sich die Schreibfehler für den aromatischen Tee aus der ehemaligen
Sowjetrepublik Georgien verringern. Mit diesem Tee von den Südwesthängen des
Kaukasus am Schwarzen Meer hatte der Zar früher sein Riesenreich versorgt.
Offizirskij tschaj, der Tee der Offiziere – sein Genuss war auch außerhalb der
russischen Armee ein festes Ritual gewesen.
Berenike betrat das Lokal und setzte sich. Am Nachbartisch
ließ sich eine kleine, mollige, in ein rot-weiß gemustertes Kleid gewandete
Frau auf einen Sessel fallen. Sie stöhnte so laut auf, dass Berenike sie
neugierig ansah. Die Frau legte sofort los: »Ich soll ab sofort dreimal so viel
Miete zahlen, weil das Haus renoviert
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