Ausgetanzt
ehemaligen Wohnhaus des
Theaterdichters Jura Soyfer hatte Fred Stein vor einer Weile eine Wohnung
gefunden. In ihrer Theaterzeit während des Studiums hatten sie auch ein Stück
von ihm aufgeführt: ›Der Lechner Edi schaut ins Paradies‹. Es wäre schön,
wieder etwas in diese Richtung zu tun. Vielleicht konnte sie ›Pessoas Erben‹,
die Schreibgruppe, die sich in ihrem Ausseer Salon traf, zu Theateraktivitäten
motivieren. Eine Theatergruppe in Altaussee, das wäre was. Wenn es schon zum
Schreiben nie reichte, egal, wie oft sich Berenike das vorgenommen hatte. Aber
Theater, das ja! Sie würde mit Sepp reden, der den Schreibtreff leitete. Und
dann mal sehen.
Die Mazzesinsel … hier wollte sie herumstiefeln, sich auf die
Suche nach einer Vergangenheit begeben, die sich vor ihr verbarg, die nicht einmal
ihr jüdischer Vater kannte. Aber über dieses Drama wollten sie heute nicht
reden, nicht, wo Jelena dabei war, Freds … Berenike wusste immer noch nicht so
recht, wie sie die Partnerin ihres Vaters nennen sollte. Seit Fred vor einem
Jahr die russische Jüdin kennengelernt hatte, von Berenikes Mutter Rose lebte
er seit Jahren getrennt, schien manches komplizierter, doch er wirkte gelöster.
Lachend öffnete er Berenike die Tür im zweiten Stock des Hauses. Er führte sie
in seine Wohnung, hell war sie und licht, aber sie sah immer noch wie Work in
Progress aus. Typisch Fred Stein, mit der Ewigkeit hielt er es nicht. Bücher
stapelten sich auf dem hellen Holzboden, ein Schreibtisch, aus rohem Holz
gezimmert, wartete mit leerer Fläche in einer Ecke unterhalb des Fensters.
Früher hatte er Journalist werden wollen, jetzt war er bereits in Pension. An
einer Wand waren Regale zum Teil aufgebaut worden, in den oberen zwei Fächern
standen Bücher neben Fotoalben. Und überall im Raum blieb viel Platz, Platz,
sich zu bewegen.
Fred schaltete den Samowar ein, der neben dem Esstisch auf
einem separaten Tischchen thronte. Ein Geschenk, das ihm Berenike gemeinsam mit
Selene und Jelena zum Einzug überreicht hatte.
Jelena zog Berenike mit in die Küche. »Er geht jetzt zu einer
Gesprächsgruppe für Überlebende des Nazi-Wahnsinns«, vertraute ihr die Russin
an, während sie auf einem Tablett Tassen und einen Teller mit Keksen
bereitstellte. Eine Schale Würfelzucker folgte, dann ein Glas Erdbeermarmelade.
»Selbst gemacht«, strahlte Jelena.
Berenike schnupperte an der Marmelade, sie duftete, als hätte
man die Erdbeeren eben gepflückt.
Dann nahm Jelena eine Teedose aus dem Kasten. »Grusinischer
Tee«, lächelte sie, »damit verknüpfen sich viele Kindheitserinnerungen.«
Was für ein Zufall, dachte Berenike.
»Die Sommer meiner Kindheit«, fuhr Jelena fort, »habe ich bei
meinen Großeltern in ihrem Blockhaus verbracht. Es war eine wundervolle Zeit.
Wir haben Beeren gepflückt und Pilze gesammelt … und viel Tee getrunken.«
Gemeinsam trugen sie die Speisen ins Wohnzimmer. Berenikes
Nichten, Amélie und Jenny, lümmelten auf dem Sofa.
»Ach ja,
Jenny … Happy birthday!« Berenike kramte in ihrer Tasche nach dem
Kuvert, auf das sie eine einzelne Rose geklebt hatte.
»Oh – danke, Tante Berry.« Neugierig riss Jenny das Kuvert
auf, die blonden Locken flogen. Freudig überrascht zog sie den Geldschein
heraus. »Danke!«
»Damit kannst du dir selbst einen Wunsch erfüllen.«
Dann las Jenny den Text auf der Karte von Kaiserin Sisi, die
Berenike in Ischl gekauft hatte. »Oh, wie hübsch!«, rief sie aus. Die Kleine,
die gar nicht mehr so klein war, fiel Berenike um den Hals, weich und
anschmiegsam, das war sie immer schon gewesen. Ihre Küsschen verteilte sie
großzügig und Berenike mochte das, liebte ihre zarte Haut, strich ihr kurz
bewundernd über die seidigen Haare. Jenny war wie ihre Mutter Selene. Die stand
mit dem Vater am Fenster, leise Worte drangen herüber, ohne dass man sie
verstanden hätte.
Berenike ließ sich in einen Lehnsessel sinken. Ah, das tat
den Füßen gut nach ihren anstrengenden Recherchen, die sie durch die halbe
Stadt geführt hatten! Die Mädchen fingen an, miteinander zu flüstern. Amélie
trug, ganz ungewohnt, einen langen weißen Rock und eine taillierte blaue Bluse.
Sonst war um sie immer diese dunkle und rebellische Aura gewesen …
»Seit wann kleidest du dich so feminin?« Berenike hatte die
Mädels eine Weile nicht gesehen. Amélie war jetzt auch schon 15.
»Feminin?« In Amélies Augen standen Fragezeichen.
»Wahrscheinlich dein Röckchen«, Jenny kicherte und zupfte
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