Ausgetanzt
worden ist.« Sie bestellte Tee bei einem
Kellner, der wie ein mongolischer Nomade aussah. Berenike deutete ihm rasch,
dass sie das Gleiche wolle.
Die Frau redete unterdessen weiter. »Wir sind ein
Künstlerinnen-Kollektiv und haben die Straße echt aufgewertet und was passiert
jetzt? Der Macho von Hausherr nutzt das aus und verkauft alle Wohnungen im
Eigentum. Mich und meine Kolleginnen will er aus der alten Werkstatt rausekeln,
die wir erst bewohnbar gemacht haben. Gentrifizierung heißt so was neudeutsch.
Es ist immer dasselbe. Soll ich mir jetzt eine neue Bleibe suchen?«
Berenike zuckte mit den Schultern, aber die wortgewaltige
Künstlerin achtete nicht darauf.
»Bleibt mir wohl nichts anderes übrig, wenn ich die
Horrormiete nicht zahlen will und kann.«
Der Kellner servierte ihren Tee in rauchgrauen Gläsern. Die
Künstlerin sah auf. »Darf ich Sie zu meiner Vernissage einladen? Heut Abend?
Hier«, sie reichte Berenike eine Postkarte, die in kleine bunte Bildchen
unterteilt war.
»Oh danke«, Berenike sagte es schnell.
Als die Künstlerin weg war, trank auch Berenike ihren Tee
aus. Hippe Neo-Ottakringer versuchten gerade, ihren Nachwuchs ohne Erziehung zu
erziehen. Das konnte nicht klappen. Die Kinder tobten, dass Berenike die Ohren
schmerzten. Die Eltern gaben auf. Berenike auch. Sie zahlte an der Theke und
ging.
Sie stromerte weiter durch die seinerzeit während des
Gründerwahns des 19. Jahrhunderts rasterweise verbauten Gassen, die Augen weit
aufgerissen nach Mehmet. Graue Häuser, graue Menschen. Kaum ein Baum. Die
befanden sich in Wien, wenn überhaupt, leider nur in den Höfen. Man musste ja
überhaupt noch dankbar sein, wenn ein paar verrückte Künstler dem was
entgegensetzten, wie dieser wirre bunte Kram aus Computerteilen und
Ziegelsteinen, der eine abgefuckte Geschäftsauslage schmückte, und vor dem
Berenike neugierig stehen blieb. Auf einem handgeschriebenen Zettel daneben
wurde das Kunstwerk als kreativ, progressiv und partizipativ bezeichnet. Aha.
Drinnen saß eine einsame Frau, die durch Berenike hindurchstarrte.
Sie ging weiter, an einer Trafik schrie eine
Zeitungsschlagzeile sie an: ›Warnung vor dem Beautykiller‹. Dazu ein Foto. Gut
sah der Mann nicht aus. Und er kam ihr vage bekannt vor. aber eher so wie
jemand, der nur einem anderen ähnlich sah.
An der Straßenbahnhaltestelle zurück in die Stadt kam ein
Anruf von Berenikes Schwester Selene. »Jenny hat sich’s überlegt«, sagte sie,
»sie findet eine Familienfete nicht cool. Aber wir gehen morgen ins Kino, mit
dem Opa, kommst du mit?« Ein Nein hatte keinen Platz, wo Berenike doch so
selten in der Stadt war. Und einen Besuch bei ihrem Vater Fred konnte Berenike wenigstens
gleich mit der Suche nach dem dritten Café Istanbul in der Leopoldstadt
verbinden. Sie machte sich diesbezüglich keine Hoffnungen, wollte aber alles
versuchen. In Ottakring hatte sie Mehmet jedenfalls nicht ausfindig gemacht.
Am Sonntagvormittag fuhr sie mit der U-Bahn in
den zweiten Bezirk. Sie wusste, wie sich ihr Vater gegen seine Rückkehr auf die
Mazzesinsel gewehrt hatte. Er hatte Angst davor, dorthin zurückzugehen, wo er
als jüdisches Kind irgendwo hier in einem Keller die Nazijahre überlebt hatte.
Eine ›arische‹ Frau hatte ihn, gemeinsam mit anderen Kindern, aufgenommen.
Seine Eltern hatten ihn bewusst dort hingebracht, um ihm eine Überlebenschance
zu geben. Sein Vater hatte ihn später wiedergefunden, aber die Mutter war im KZ
ermordet worden. Berenike hätte gern die Adresse herausgefunden, auch wenn die
damaligen Helferinnen – Fred erinnerte sich an zwei Frauen – längst nicht mehr
am Leben sein konnten. Irgendwann einmal, das hatte Berenike sich vorgenommen,
wollte sie ihre Familiengeschichte erforschen. Irgendwann, wenn die Zeit reif
war.
Das dritte Café Istanbul sollte sich unweit des Pratersterns
befinden, in der Springergasse. Berenike bog in die Heinestraße ein und fand
die Adresse mühelos. Auch hier graue Häuser, graue Gassen. Kinderlachen als
einziges Lebenszeichen. Berenike hätte sich den Weg sparen können, das Lokal
sah geschlossen aus, vielleicht für immer.
Sie ging zurück zur Heinestraße. Hier herrschte eine Stille,
wie sie in Wien nur sonntags zu finden war. Das Bimmeln der Straßenbahnen war
beinahe das einzige Geräusch. Weil noch Zeit blieb, drehte sie eine kurze Runde
im Augarten. Viele Menschen saßen allein auf Bänken oder gingen spazieren, vor
allem Frauen.
Dann zu ihrem Vater. Ausgerechnet im
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