Ausgetanzt
in ihre Überlegungen. Wenn nur endlich die Wahrheit
ans Licht käme! Langsam wusste sie nicht mehr, was sie glauben sollte und vor
allem wem. Sie hatte so viele sich widersprechende Informationen erhalten.
Mehmet, der Alkohol nicht vertrug und mit mindestens drei Frauen eine G’schicht
rennen hatte. Für die Rolle als James Bond vom Bosporus musste er allerdings
noch üben. Amélie hatte theoretisch ein starkes Motiv gehabt, Caro aus dem Weg
zu räumen, doch Berenike mochte das kaum glauben, sie konnte sich nicht
vorstellen, dass die Freundin das wirklich getan hatte. Die junge Hepsen in
ihrem Temperament sah hingegen nicht nach einem Vaserl aus, das lang zögern
würde. Wenn sie von der Affäre was erfahren hatte. Aber ob die junge Frau
wiederum die Tote so grausam entstellt hätte?
Endlich ließ der Regen nach, Berenike wandte sich zum Gehen.
Da baute sich vor ihr ein grauer Schatten auf, grau und nach Rosen duftend.
»Gül! Haben Sie mich erschreckt!« Im Gegenlicht war der
Gesichtsausdruck der Türkin nicht recht zu erkennen. »Was ist denn mit Ihnen?«
»Hepsen ist weg. S-sie«, Gül fing unerwartet zu stottern an,
fing sich aber gleich wieder. »Sie sind doch von der Polizei?«
»Nein.«
»Detektivin?«
»So was in der Art.« Nur nicht genauer darüber nachdenken.
»Ich heiße Berenike.«
»Freut mich, ich bin Gül.« Die Friseurin gab ihr eine kleine,
warme Hand. »Ich weiß nicht, was ich denken soll. Etwas geht hier vor, aber ich
komme nicht dahinter, was. Darf ich Sie auf einen Tee einladen?«
»Wasser wär mir im Moment lieber.«
»Natürlich, wenn es so heiß ist.«
In der kleinen Garderobe des Friseurgeschäftes waren sie unter
sich. Die Geräusche aus dem Laden drangen nur gedämpft herein, wie ein fernes
Echo.
»Ich weiß nicht, was ich machen soll. Seit Sie hier
angekommen sind, laufen die Dinge aus dem Ruder.«
»Ich hab ja gesagt – meine Freundin – sie und Mehmet …«
»Glauben Sie mir, ich versteh Sie! Aber meine Cousine und
ich, wir sind wie Schwestern aufgewachsen. Ich fühl mich für sie
verantwortlich.« Gül ließ Wasser in ein Glas laufen, schnitt eine Scheibe von
einer Zitrone ab, gab sie in das Glas und reichte es Berenike. Die Kühle drang
in ihre Handflächen, beruhigte ein wenig in der schmierigen Hitze. Gül
hantierte mit einer Kanne, die auf einer elektrischen Herdplatte stand. Sie
bemerkte Berenikes neugierigen Blick. »Ich koche immer noch Tee wie in der
Türkei. In die obere Kanne kommt der starke Teeaufguss, im unteren Gefäß
befindet sich heißes Wasser. Praktisch, nicht wahr? Solchen Traditionen kann
ich etwas abgewinnen.« Sie lächelte. »Aber darüber wollte ich nicht mit Ihnen
reden.«
Berenike winkte ab. »Ich liebe Tee. Nur habe ich heute schon
so viel davon getrunken.«
»Ich möchte mit Ihnen über Hepsen sprechen. Und über
Mehmet. Haben Sie denn schon mehr herausgefunden? Das ist eine wilde
Geschichte, dass der Mann schon verheiratet ist. Er hat immer behauptet, er sei
geschäftlich viel auf Reisen.«
»Ha, dasselbe hat er Am … seiner Frau auch gesagt.«
»Na super. Und was machen wir jetzt?«
»Bigamist ist er ja – zumindest noch – nicht. Aber …«
»Aber er hat meiner Cousine die Ehe versprochen. Das bedeutet
bei uns viel. Wissen Sie, ich habe Hepsen zum ersten Mal gesehen, als sie einen
Tag alt war. Das verbindet. Mehmet hingegen kenne ich zu wenig …« Gül nahm
einen Schluck Tee. »Hepsen macht mir Sorgen. Sie ist jung und unbedarft und so
leidenschaftlich. Alles ist bei ihr tausendprozentig. Ich möchte sie beschützen
… Ich weiß, das Leben läuft nicht immer so, wie man es gerne hätte. Vor allem,
wenn man so jung ist. Ich wurde von meiner Familie verheiratet, als ich 14 war.
Ich bin hier in die Schule gegangen, meine Eltern gehörten zu den ersten
Gastarbeiterfamilien in Österreich. In den Ferien in der Türkei hat man mir
meinen künftigen Mann vorgestellt. Er kam nach der Hochzeit mit mir nach
Österreich, 16 war er. Ich habe mich bald von ihm getrennt, bei so einem Pascha
hätte ich es nicht ausgehalten! Ich sollte viel arbeiten, meine Lehre zur
Friseurin gut abschließen. Er wollte überhaupt nichts tun, ich sollte ihm mein
ganzes Einkommen abliefern. Nein, wirklich nicht. Ich habe mich scheiden
lassen. Das war ungewöhnlich, aber meine Eltern haben meine Entscheidung mit
der Zeit akzeptiert. Jetzt bin ich Geschäftsfrau und verfüge über mein eigenes
Geld. Aber Hepsen … hoffentlich macht sie keinen Unsinn … Ich
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