Ausgetanzt
die Sonne, drohte es heiß zu
werden.
Ihr Weg führte Berenike heute nur kurz in ihren
Salon für Tee und Literatur. Sie grüßte die ersten Gäste und ließ sich von Hans
auf den neuesten Stand bringen. Rasch teilten sie die Arbeit auf: Berenike
würde nächste Woche eine neue Teebestellung aufgeben. Susi wollte die
restlichen Lebensmittel einkaufen und die immer wieder beliebten Kuchen backen.
Hans war im Lokal als Kellner im Einsatz. »Chief of Service«, kicherte Berenike
und wurde von beiden verständnislos angeglotzt.
Anschließend packte Berenike Teeutensilien und eine
ausgiebige Jause ein. Zum Glück war noch Shortbread da, diese köstliche
Nascherei aus Schottland. Und schon ging es wieder los, nach Hallstatt, die
Frauen treffen. Sie würden alles absuchen. Und sehen, was sie tun konnten.
Diesmal lag der Hallstätter See im prallen Sonnenschein,
wofür kaum ein Blick blieb. Während Berenike mit der Standseilbahn fast
senkrecht nach oben fuhr, tauchten vor ihrem inneren Auge Bilder vom Leben in
Urzeiten auf. Diese Menschen würden sich wundern angesichts der modernen Welt
mit ihrer Hektik. Und über die Morde wahrscheinlich auch.
Oben eröffnete sich Berenikes Augen das Hochtal in seiner
ganzen weichen Schönheit. Wie ein Gedicht, das von der richtigen Person
vorgetragen wurde. Bergspitzen und Baumwipfel, Berenike ließ sich bezaubern.
Lichtes Grün, und sie mittendrin, im Bemühen, denselben Weg zu finden, den sie
vor zwei Wochen gegangen war. Damals war sie im schummrigen Licht aufwärts
marschiert, hatte die gleichen Pflanzen beiseite geschoben wie heute, aber sie
war guter Dinge gewesen. Jetzt wärmte Sonnenlicht, doch die bedrückte Stimmung
wollte nicht weichen.
Am liebsten hätte sie mit einem Mal auf das Treffen
verzichtet, hätte alles der Polizei überlassen und gar nicht mehr daran
gedacht. Das war natürlich unmöglich. In dem magischen Tal schon gar nicht. Und
nicht, wenn sie Gerechtigkeit finden wollte, Gerechtigkeit für die toten
Frauen.
Sobald sie in den Wald kam, strich feuchte Kühle über
Berenikes Haut. Düster lockten alte, hohe Bäume, sich zwischen ihnen zu
verlieren. Verwachsen war der Weg wie der zu Dornröschens Burg. Sie seufzte.
Märchen und Sprichwörter, weit hatte sie es gebracht! An einer kleinen Quelle
trank Berenike einen Schluck Wasser. Die Kühle rann glatt ihren Hals hinunter,
pure Kraft des Lebens! In der Stille atmete sie wohlig auf. Wenn nur nicht
diese Mordserie wäre! Sie musste ständig an Sven denken, der überraschend
häufig vor den Taten auftauchte und mit seiner hysterischen Art alle nervös
machte. Und an Mehmet mit seinem Doppel- oder Dreifachleben. Dazu der
Beautykiller und die Gerüchte über ihn. All die Frauen, die sich nicht gerade
unverdächtig benahmen. Eine Klammer legte sich um Berenikes Brust. Diese
allgegenwärtige Gewalt. Sie könnte glücklich sein, so glücklich. Ihr Leben im
Ausseerland leben. Das Sonnenlicht, klar und fein. Die Stille, in die ein Vogel
fröhlich und beschwingt piepste. Doch die Gewalt sollte nicht ohne Antwort
bleiben. Der Wahrheit war sie auf der Spur, nichts als der Wahrheit.
Also weiter. Endlich kam sie auf der Lichtung an. In den
letzten 14 Tagen war so viel passiert und gleichzeitig so wenig. Ein Gefühl von
Unwirklichkeit machte sich in Berenike breit.
Vom Waldrand her winkte jemand schemenhaft aus dem Schatten.
Berenike legte eine Hand über die Augen, suchte über das hoch stehende Gras
hinweg etwas zu erkennen. Eine Frau stand dort drüben, sah aus wie Rita. Mehr
noch aber glich sie … Berenike schlug die Hand vor den Mund … Sie sah aus
wie Caro. Eine jüngere, frohere Caro. Berenike wollte einen Arm heben und
winken, aber der Arm hing schwer wie Blei an ihrer Seite. Hinter ihr ein Rufen.
Berenike zwinkerte und wandte sich um. Niemand zu sehen. Sie drehte sich zurück
und auch hier war niemand mehr. Hexerei? Ein Albtraum! Der ewige Schlafmangel!
»Huhu, Berenike!«
Blitzartig drehte sich Berenike um. »Ellen, hast du mich
erschreckt!«
»Wen hast du erwartet, den Mörder?«
»Scherzkeks.« Berenike warf noch einen Blick auf die dicht
stehenden Bäume auf der anderen Seite. Alles lag ruhig da. Nicht einmal ein
Vogel sang.
»Sorry.« Ellen zitterte trotz der Wärme und sah sich
sorgfältig um.
»Wie geht’s dir, Ellen?«
»Danke, was soll ich sagen. Sven ist wieder da.« Sie
verstummte und sah düster auf ihre Schuhspitzen. Cowboystiefel mit verstärkten
Spitzen, wie ungewöhnlich. »Er
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