Ausgeträllert (German Edition)
sehen ...«, sagte er und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Ich kann die ewigen Schinkenbrote nicht mehr sehen. Da muss ich wohl warten.«
»Ja, dann ...« Ich bückte mich und widmete mich wieder der Verschnürung aus Hanfseil, das im Regen aufgequollen war. Das Pferd schnaubte und klopfte mit einem Huf aufs Pflaster. Ich drehte mich um und erwischte den schwarzen Ritter dabei, wie er mir aufs Hinterteil glotzte.
»Ist noch was?«
Das Pferd schüttelte den Kopf.
»Ich hab nicht Mister Ed gefragt.«
»Auch mein edles Kampfross weiß den Anblick einer wohlgestalten Jungfer sehr zu schätzen ...«
»Tja, wie der Herr so’s Gscherr. Wenn ich dann hier mal weiterarbeiten darf.«
»Ähm ... was ich eigentlich sagen wollte ... Das Ritterlager ist auf dem Boulevard aufgebaut. Da wohne ich. Im schwarzen Zelt, versteht sich. Turnier ist heute Nachmittag. Wenn Ihr Lust habt, Jungfer ... Visitez ma tente ...« Er zückte sein Schwert und schlug auf den Schild. Dann verneigte er sich tief. Das Pferd streckte einen Huf vor und neigte sein Haupt ebenfalls. Ich musste über die beiden lachen und sagte: »Gibt es eine Chance, dass der weiße Ritter richtig was auf die Birne kriegt?«
Der Rittersmann verbeugte sich noch mal, steckte sein Schwert zurück in die Scheide, schwang seinen schwarzen Umhang und sagte: »Meine Verehrung, werte Pesthexe. Roland vom roten Phoenix erwartet Sie zur fünften Stunde. Ich kann Ihnen versichern, dass diesmal der bessere Mann gewinnen wird.« Der Rappe wieherte und nickte mit dem großen Kopf.
Tolle Anmache, dachte ich und sagte: »Na dann, bis später vielleicht.«
Mittlerweile hatte sich der Geruch von verbranntem Fleisch in die Grilldüfte gemischt. Ich musste mich beeilen, um die Katastrophe, die sich da anbahnte, zu verhindern. Der Ochse musste für die drei Tage reichen – einen zweiten gab es nicht.
»Wolfi? Bist du da drin? Chef!«, rief ich, bekam aber keine Antwort.
Ich riss die letzten Schlaufen von der Verschnürung auf und schlug den Stoff zurück. Dicker schwarzer Rauch quoll mir entgegen. Ich musste sofort husten und hielt mir einen regennassen Rockzipfel vor Mund und Nase. »Günni?! Ist jemand da?!«
Hinter mir rief jemand, der wissen wollte, was da los sei. Eine meterhohe Stichflamme schoss plötzlich vom großen Feuerbecken in den Zelthimmel. Auf der Stelle mischte sich der Geruch von verbranntem Stoff hinzu. Ich taumelte rückwärts aus dem Zelt.
»Wasser ... Löschen, wir müssen löschen«, rief ich und rieb mir die tränenden Augen. »Der Ochse verbrennt.«
Zwei Zwerge in roter Lederkluft, jeder zwei hölzerne Wassereimer schleppend, rannte an mir vorbei ins Zelt, und ich hörte das Wasser im Feuerbecken zischen. Die beiden kamen sofort wieder heraus und liefen in Richtung Hydrant. Günni bringt mich um, dachte ich noch, als ich das Zelt betrat, den Qualm beiseite wedelte und einen Blick nach oben warf. Der Zelthimmel war angesengt und schwarz vom Rauch.
Die beiden Wasserträger rannten wieder an mir vorbei, entleerten ihre Eimer ins Feuerbecken und kehrten sofort wieder um. Ich rief ihnen hinterher: »Kann mal jemand ins Musikantenzelt gehen und nach Günter Heibuch ... rufen ...« Meine Stimme war plötzlich nur noch ein Krächzen. Ich hörte den Regen auf die Zeltplane prasseln und konnte mich nicht mehr bewegen. Meine Hände zitterten, Prince Charles fiel mir aus der Hand und zerschellte am Boden. Ich schlug die Hände vors Gesicht. Das Wasser verzischte im Feuerbecken; die Stimmen der Leute vor dem Zelt waren zu hören, und ich dachte ... weiteratmen ... einatmen, ausatmen ... weiteratmen ... du hast einen Hangover von der Mördersangria ... das hier ist nicht real!
Nach ein paar Sekunden spreizte ich die Finger und linste hindurch. Aber das, was ich vor zwei Minuten schon gesehen, aber nicht hatte wahrhaben wollen, war immer noch da. Das, was sich vor mir über dem sterbenden Feuer drehte, war viel zu klein für einen Ochsen. Und es sah auch gar nicht aus wie ein Ochse und auch nicht wie ein Schwein oder ein Lamm ... oder ein Huhn ...
Ich ging auf den Grill zu, stolperte über eine heiße Gasflasche und verbrannte mir die Schienbeine. Ich guckte mich um. Im Zelt herrschte das reinste Chaos – alle Hocker und Tische lagen in einem wilden Durcheinander. Sämtliche Holzlöffel, Holzteller, Messer und anderes Kochgerät waren zerschlagen worden. Ochsen haben keine Hände – und keine Füße mit Fingern und Zehen dran, dachte ich. Mein Gehirn
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