Ausgeträllert (German Edition)
richtig: In der linken unteren Ecke fand ich, wonach ich suchte - R.R. Also war er vor drei Tagen auf der Pressekonferenz zu diesem Event gewesen und dann, als die Nachricht von der Explosion die Runde machte, war er den Reportern einfach hinterhergerannt – immer bereit für das Foto seines Lebens.
Wie es aussah, hatte er bei dem Nachtigall-Projekt noch mehr zu tun, als ein Foto auf einer Pressekonferenz zu schießen. Das Plakat war von ihm und vermutlich sowieso alle offiziellen Pressefotos und wahrscheinlich auch das Cover der CD. Eigentlich nicht seine Kragenweite, dachte ich. Einer alternden Schlagerdiva wieder aufs Pferd zu helfen, ist im Prinzip unter seiner Würde, und seine Preise bewegten sich weit über dem Budget, mit dem solche Vorhaben für gewöhnlich ausgestattet sind. Der Gedanke daran, dass er, aus welchen Gründen auch immer, von seinem Hochglanzross hatte heruntersteigen müssen, erheiterte mich. Im nächsten Augenblick fiel mein Blick wieder auf das Datum für das Konzert. In vier Tagen, in der Kongresshalle. Dafür war bei Heibuch das Catering für den Backstage-Bereich bestellt und für die anschließende After-Show-Party auf dem Ausflugsbötchen auf dem Kemnader Stausee, das passenderweise nach der ältesten Zeche im Ruhrtal ›MS Nachtigall‹ getauft worden war. Dreimal Knipser in vier Tagen, und ein Ende war nicht abzusehen. Selbst wenn die Heibuchs den Auftrag für das Catering abgesagt und ich meinen Job verloren hatte, blieb immer noch das Rudi-Reifen-Problem.
Ich holte einen Kugelschreiber aus der Tasche, malte der Nachtigall einen Schnurrbart und beschleunigte meine Schritte in Richtung Nordring. Schon kurz nach sieben. Wie ritterlich war ein Ritter, wenn er auf eine Dame warten musste? Gab es schon damals die akademische Viertelstunde?
Vor der Tür zupfte ich mein neues T-Shirt zurecht, knöpfte mit Gewalt die unteren drei Knöpfe meiner Jeansjacke zu, damit man den pinkfarbenen Aufdruck
Hell-Belly
nicht sehen konnte, und fuhr mir durch die frisch gewaschenen Haare. Dann riss ich die Tür auf und prallte mit Raoul zusammen, der zwei Teller mit Gemüsereis, gekrönt von gegrillten Lammkoteletts jonglierte.
»Atenció!!«
Weil ich es für unpassend hielt, das Date gleich dadurch zu sprengen, dass ich schnurstracks die Toiletten aufsuchte, schluckte ich jede Menge Spucke und versuchte den Duft, der mir von den Tellern in die Nase stieg, zu ignorieren.
Raoul stolperte weiter und stellte das Essen direkt vor Roland vom roten Phoenix ab, der mich gesehen hatte und winkte. »Ich musste schon mal bestellen«, rief er.
»Hast du es so eilig?«
»Ja, leider. Ich muss um halb elf wieder in der Rüstung stehen. Großes Finale. Das Feuerrad wird über den Markt gerollt. Da müssen alle dabei sein.«
»Sagt wer?«, fragte ich. So kurz hatte ich mir das Rendezvous nicht vorgestellt. Nur knapp zweieinhalb Stunden Zeit und die Aussicht, jetzt tapfer Lammkoteletts essen zu müssen, weil der Ritter einfach irgendwas für mich bestellt hatte, verdarben mir die Laune, wenn ich ehrlich war.
»Ich sage das«, sagte Gregor, den ich noch gar nicht bemerkt hatte, weil er mit seiner Nase kaum über die Tischkante gucken konnte.
»Guten Abend, ich hab dich in deinem Nadelstreifenanzug gar nicht erkannt«, sagte ich.
»Na toll, und ich dachte schon, es liegt daran, dass ich so klein bin. Ein Scheißservice ist das hier«, maulte er und zog den zweiten Teller zu sich heran.
»Frag doch nach einem Kissen«, sagte Roland und grinste Raoul an. »Er will nur auf den Schoß der Dame. Das macht er immer so.«
Raoul wippte ungeduldig auf den Fußballen. »Was du willste esse ... Maggie?«, fragte er mich.
»Gemüse und Reis.«
Er rümpfte die Nase, als hätte ich ihm aufgetragen, Gulaschsuppe aus der Dose zu servieren.
»Ich kann grad kein Fleisch«, flüsterte ich. »Schon der Geruch.«
»Aber dasseisse von die Lamm ... nicht von eine Mann.«
»Raoul, bitte!«
»Ts! Joder!«, murmelte er und stolzierte davon.
Gregor war eben dabei, sich auf seinem Stuhl hinzuknien. An einigen Tischen wurde schon über meine seltsame Gesellschaft getuschelt.
Ich schaute mich nach Kai-Uwe um und entdeckte ihn in der hintersten Ecke des Raumes am Stammtisch. Er spielte mit seinen Kumpels Doppelkopf. Ich winkte ihm zu und er winkte zurück.
Dann kam Raoul wieder angerannt, knallte eine Flasche Rioja und drei Gläser auf den Tisch. »De Hassebinke machte mir wahnsinnig. Aber iss gebe niss auf. Niemals.«
»Was läuft
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