Ausgeträllert (German Edition)
Texten einsang. »Lieber Biber, hast du lieber Fieber ...«, tönte es aus dem Konzertsaal. Und noch ein bisschen Höher: »Lieber Biber, hast du lieber Fieber ...« Dann fing die Tonfolge wieder bei den tiefen Tönen an und der Text änderte sich: »Hungerst du, du armer Mungo duuuuuuu ...«
Zwei Stagehands schoben eine riesengroße Lautsprecherbox an mir vorbei. »Bist du die Gitarre?«
»Äh ... nein.«
»Dann steh hier nich’ im Weg rum.«
Jemand in der Halle rief: »Wo issender Neunhunderter? Scheiße, verdammte. Kann mal jemand dieses Scheißkabel ...«
Ich arbeitete mich bis zur Mitte des Zuschauerraums vor. Dolores La Rose stand in einem kaftanähnlichen Gewand auf der Bühne, hielt sich am Mikrofon fest und nickte ihrem Pianisten zu. Dabei gerieten ihre kunstvoll auf lässig gestylten langen blonden Haare in Unordnung. Plötzlich stieß sie Laute aus, die nach den Paarungsrufen längst ausgestorbener Dinosaurier klangen: »Nnnnnnnnnnngüüüüüüüüüüüüüü.«
Ich fragte mich, ob ich es heute endlich mal erleben würde, wie jemand Scheinwerferglas zersingt.
Nach dem letzten
Nnnnnnnnnnnnnngüüüüüüüüüüü
, bei dem die Hallendecke einzustürzen drohte, hob sie beide Hände gen Himmel. Jemand aus dem hinteren Bereich der Bühne applaudierte und rief: »Fantastisch! Wenn du statt Madonna die Evita gespielt hättest, wäre der Film ein Erfolg geworden!«
Eine andere Stimme rief: »Ruhe!«
Aus der zweiten Reihe flammte Blitzlicht auf. Die Diva hielt sich schützend eine Hand vor die Augen.
»Nein, Liebes ... Das war so ein wunderbares Bild. Bitte ...«, hörte ich die Stimme des Knipsers. Ich arbeitete mich durch die leeren Stuhlreihen nach vorne.
Und dann traf mich ihr Blick. »Wer sind Sie?!«, schrillte ihre Stimme. Ich blieb auf der Stelle stehen. Der Knipser drehte sich um. Racic kam quer durch die Halle gerannt, als hätte man mich soeben als Attentäterin entlarvt. Bevor er sich auf mich werfen konnte, sagte ich: »Ich bin’s nur, Frau Abendroth vom Catering, und ich ...«
»Maggie«, rief der Knipser. La Rose wandte sich schnaubend ab. Racic sagte: »Ach, Sie sind’s.« Dann drehte er sich zur Diva um und sagte: »Kein Problem, Liebling. Das ist die Assistentin vom Chefkoch. Sei doch so gut, und gib ihr ein Autogramm.«
»Günni? Seit wann hat der eine Assistentin?«
Und bevor ich überhaupt ›Papp‹ sagen konnte, hatte ich eine unterschriebene Karte mit dem Konterfei der Schlagerdiva in der Hand.
»Das erkläre ich dir gleich. Jetzt ist es Zeit für deine Pause. Schone deine Stimme.«
»Ist denn was mit Günni Heibuch?«, sagte sie.
Racic klatschte in die Hände und rief. »Pause. Eine Viertelstunde. Und bis dahin ist der Gitarrist auch da. Versprochen.«
Die Diva kam an den Bühnenrand. »Falko! Ich habe dich nicht nach dem Gitarristen gefragt!«
Im Hintergrund stoben alle auseinander wie Kakerlaken in der Küche, wenn das Licht angeht. Racic sprang auf die Bühne, nahm die Sängerin bei der Hand und führte sie auf dem schnellsten Weg hinaus.
Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und sagte: »Auf ein Wort, Herr Fotograf.«
»Ich kann mir schon denken, was du von mir willst«, sagte der Knipser und packte seine Kamera ein. »Meine Antwort ist NEIN.«
»Hör mir doch bitte mal zu. Ich bitte dich nur, die Anzeige zurückzunehmen. Bitte. Du bringst einen guten Freund von mir in Schwierigkeiten.«
»Das hätte er sich eher überlegen müssen. Ich war auch in Schwierigkeiten, weißt du. Erst erscheinst du nicht am Terminal – ohne eine Nachricht, ohne irgendwas, und ich kann sehen, wie ich dem Kunden erkläre, warum da ein Ticket gebucht wurde, Business Class, Nassau Bahamas! Und niemand ist damit geflogen. Und an dem Tag, als ich mit meinem Team wieder zurückkam ... Wer nicht da war, warst du. Und was auch nicht da war, waren meine Reifen. Und wer nicht nach Hause fahren konnte, war ich. Ich hatte einen Mordsstress, die ersten Bilder noch am Abend an den Kunden zu liefern. Verstehst du, was ich mit Schwierigkeiten meine?! Ich zahl dir ein Ticket in die Karibik, du verpisst dich, ohne ein Wort zu sagen, und am Ende ist der Dumme, wer? Wer noch mal? Ich!«
»Und Rudi sitzt in U-Haft und verliert seine Bewährung. Verstehst du jetzt, was ich mit Schwierigkeiten meine?«
»Was interessiert mich das denn? Häh?«
»Und warum kommst du erst jetzt damit um die Ecke?«
»Es hat mich richtig was gekostet, das Video zu bekommen. Und es war nicht eindeutig. Kein
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