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Ausgeträllert (German Edition)

Ausgeträllert (German Edition)

Titel: Ausgeträllert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minck
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zu lassen, dass Dolores La Rose hindurchschreiten konnte. Während Racic jedem einzelnen eine Rose in die Hand drückte, bauschten die ersten Windböen Röcke und Umhänge. Die Damen quiekten in gespielter Hysterie und versuchten die Rocksäume unten zu halten und die Frisuren zu retten. Die Herren hatten weniger Probleme mit ihrer Kleidung und starrten in den Himmel, als könnten sie das herannahende Unwetter mit purer Willenskraft aufhalten. Racic hatte Mühe, die Aufmerksamkeit der Anwesenden wieder auf sich zu ziehen. Er erklärte, dass sie bitte die Rosen nicht auf die Diva werfen, sondern in die Höhe halten sollten.
    Wenn meine innere Uhr nicht trog, dann waren wir mittlerweile eine halbe Stunde im Verzug. Nichts ist schlimmer als zu spät eintrudelnde Gäste und der Gedanke an Lebensmittel, die, auf den Punkt gegart, gebraten und gebacken, unaufhaltsam dahinsiechen.
    Ein mitternachtsblauer Volvo fuhr mit quietschenden Reifen auf den Parkplatz. Der Knipser sprang heraus, seine Fototasche bereits geschultert. Im Laufschritt holte er die Kamera heraus, rannte durch das Spalier der Gäste auf Racic zu und sagte: »Noch fünf Minuten. Sie ist in fünf Minuten da. Ich mach von oben noch ein paar Fotos von den Gästen ...«
    Keine zwei Sekunden später stand er neben mir, ignorierte meine Anwesenheit so gut er konnte und beugte sich übers Geländer, um die VIP-Gäste nach Farben zu sortieren. Offensichtlich gefiel ihm das spontane Arrangement des Ehrenspaliers nicht.
    Die Truppe um Oma Berti ließ ihn dabei keine Sekunde aus den Augen. Könnte es möglich sein, dass sie nicht unbedingt wegen der Nachtigall hier waren, sondern seinetwegen?
    Herzig hatte mich entdeckt und winkte mir zu.
    »Sie da!«, rief der Knipser. »Nicht jetzt winken. Herrgott noch ... und nicht in die Kamera gucken! Passen Sie doch auf die Rose auf. Oh, Wilma«, sagte er plötzlich wesentlich freundlicher. »Du siehst fantastisch aus. Dreh dich mal.«
    Wilma warf sich in Pose, und er schoss ein paar Fotos. Einige der Herren applaudierten. Der Knipser fuhr zu mir herum und sagte: »Was will dieser irre Blonde mit den Eisaugen, dieser Totengräber, neben Wilma?«
    »Der war von deinem Angebot, mich auf einen Quickie in dein Hotelzimmer mitzunehmen, nicht begeistert und wollte die Gelegenheit nutzen, mal ein ernstes Wörtchen mit dir zu reden.«
    Der Knipser schnappte nach Luft und wich einen Schritt vor mir zurück.
    »Was soll das denn heißen? Du bist doch nicht etwa …?«
    »Es heißt, was es heißt. Und der Herr daneben ist der beste Strafverteidiger weit und breit. Er wird Rudi verteidigen. Du siehst, wir sind auf alles vorbereitet.«
    Bevor er etwas entgegnen konnte, rief Herzig: »Frau Abendroth, ist das nicht toll, dass die Damen noch Karten bekommen haben?«
    »Wie haben Sie das geschafft, Doktor Herzig?«, rief ich zurück.
    »Man muss nur die richtigen Leute kennen, nicht wahr?«
    Der Knipser knurrte mich an: »Musst du nicht in die Küche?«
    »War ich da jemals, seit wir uns kennen?«, gab ich zurück. »Und nur zu deiner Information: Merk dir die Gesichter dieser kleinen Truppe da unten genau – am besten fotografierst du jeden einzelnen. Die werden dich später kielholen, glaub mir. Und diese füllige Dame da, ja, die in dem Chiffonensemble in Mauve, da wäre ich besonders vorsichtig. Sie ist die Freundin von Rudi. Für gewöhnlich setzt sie sich so lange auf ihre Gegner, bis sie nicht mehr atmen, und sie hat auch einen ganz ordentlichen Schwung an der Bratpfanne.«
    Ich überließ den Knipser seinem Schicksal, ging zu meinem Arbeitsplatz in der Pantry und öffnete das kleine Bullauge. Ich winkte Doktor Herzig heran, der sich übers Geländer an der Anlegestelle beugte, und sagte: »Das da oben ist der Typ, dem Rudi die Reifen gestohlen hat.«
    »Hat Matti mir schon gesagt«, antwortete er.
    »Könnten jetzt bitte alle ihre Position wieder einnehmen?! Bitte!«, hörte ich den Knipser von oben rufen.
    Raoul zupfte an meinem T-Shirt. Ich machte das Bullauge zu. Rauschender Beifall kündete von der Ankunft der Diva.
    Die gesamte Service-Truppe, bestehend aus drei Kellnern, fünf Küchenschaben, also uns, einem Gläser-Spüler und dem Kapitän standen stramm, als die Nachtigall durch das Ehrenspalier geschritten war und als Erste den Salon betrat. Sie trug ein dunkelrotes Seidenkleid, das an der Hüfte gerafft war und ihre immer noch sehr schlanke Taille hervorhob. Sie schaute sich um und lächelte. Aber ihre Augen lächelten nicht

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