Ausgeträllert (German Edition)
hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass ich zum Job erscheinen würde. Er ging an mir vorbei und murmelte: »Ich hatte dich gewarnt.«
»Wir sprechen uns noch, Judas!«, zischte ich zurück.
Raoul klatschte in die Hände und forderte unsere Aufmerksamkeit. Gustav machte sich bei ihm sofort beliebt, indem er seinem Wunsch nach einem kühlen Bierchen Ausdruck verlieh. Als Begründung führte er seine schmerzenden Füße und den ›wahnsinnigen‹ Stress während der Truppenverpflegung im Kongresszentrum an. Ein Blick von Raoul genügte, um Gustav das Gequatsche auf der Stelle auszutreiben. Der Einzige, den das alles nicht im Mindesten interessierte, war Wolfi. Er durfte Fähnchen mit dem Bochumer Stadtwappen in kleine Frikadellen spießen, die später den eintreffenden Gäste als Willkommensgruß gereicht werden sollten. Die drei Kellner trafen ein, grüßten kurz und inspizierten die Örtlichkeiten, schleppten Gläserkisten und Tischwäsche an Bord und machten sich daran, die Tische einzudecken. Es lief wie am Schnürchen. Wir hatten nichts vergessen, und die Lakaien waren vollzählig versammelt. Eine Stunde später war das Boot bereit zum Ablegen. Fehlten nur noch die Gäste. Der Kapitän guckte immer wieder auf seine Armbanduhr. Die Sonne sank unaufhaltsam gen Westen ... die Zeit lief.
Mit einer Viertelstunde Verspätung rollte der doppelstöckige Reisebus mit den VIP-Gästen heran. Raoul und ich standen auf dem Aussichtsdeck der MS Nachtigall. Er hatte mir erlaubt, noch eine Zigarette zu rauchen und ihm auf dem Beobachtungsposten Gesellschaft zu leisten. Raoul kniff die Augen zusammen und blickte immer wieder in den Himmel, wo sich dicke Gewitterwolken auftürmten.
Die Türen des Busses öffneten sich, und die Partygäste strömten über den Parkplatz an die Anlegestelle am Seglerheim Heveney. Satin-Pellerinen und Samtcapes, ausladende lange Taftröcke und glitzerndes Geschmeide rauschten auf uns zu.
»Wo isse de Fernssehe?«, fragte Raoul.
»Wohl nicht da«, gab ich zurück. »Aber da, guck mal, da sind zwei Fußballer vom VfL.«
»Sseit wann iss habe Interesse an diesse blöde Ssport? Du hasse versprosse Fernsehen.«
»Beschwer dich bei Racic. Ich hab den Auftrieb nicht organisiert.«
Raoul war tatsächlich enttäuscht, dass keine Kamerateams in Sicht waren.
Und als hätte es an diesem Abend in der Kongresshalle nicht schon genug Nachtigall-Geschaller gegeben, startete der Kapitän die CD von La Rose.
»Heimat, deine rote Erde, in den Tiefen kocht der Stahl ... in meinem Herzen kocht die Liebe – Kohlenpott, du warst einmal ... Heute bist du hell und heiter, da wo Maloche war, wird jetzt getanzt. Das schwarze Gold bleibt in der Erde, mein Revier, mein Heimatland ...«
Raoul schnaubte und nahm den Niedergang in den Salon mit zwei Sprüngen. Sekunden später erklang heitere, klassische Musik. Die Kellner atmeten auf.
Neben einigen Leuten, die zu den oberen Zehntausend von Bochum gehörten und deren Gesichter ich nur aus der Zeitung kannte, waren auch welche dabei, die ich zu allerletzt hier vermutet hätte. Allen voran schritt Oma Berti, angetan in einem langen, dunkelgrünen Seidenrock mit passendem Bolerojäckchen. Neben ihr, frisch vom anderen Ende der Welt eingeflogen, Carmen Sawatzki und ihr Lebensabschnittsgefährte Dr. Dr. Herzig, beide braungebrannt und bester Laune. Beim Anblick von Matti im schwarzen Abendanzug, der Wilma untergehakt hatte, blieb mir die Luft weg. Nicht nur, weil Wilma in ihrem goldenen Prêt-à-Porter-Kleid jeder Hollywoodschönheit Konkurrenz gemacht hätte, sondern weil sie überhaupt da war. Ich fand die Frage berechtigt, was sie auf dieser Veranstaltung eigentlich zu suchen hatte. Weder mochte sie Schlager, noch mochte sie Bootsfahrten. Entweder hatte sie Krach mit Acki oder sie wollte auf gar keinen Fall verpassen, wie ich mit dem Catering baden ging. Und wie, fragte ich mich, hatten es alle geschafft, ihren Plan, hier in geballter Macht aufzukreuzen, vor mir geheim zu halten?
Elli und Mia, herausgeputzt wie zum Opernball, versuchten mit Berti Schritt zu halten. Die gesamte Truppe wurde von Falko Racic überholt, der sich mit einem Strauß roter Rosen im Arm vor der Gangway postierte. »Liebe Gäste«, sagte er. »Bitte nehmen Sie Aufstellung für ein Empfangsspalier.«
Und schon ging, im übertragenen Sinne, das Stühlerücken los. Ein paar Minuten später hatten siebzig erwachsene Menschen es endlich geschafft, zwei Reihen zu bilden und in der Mitte so viel Platz
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