Ausgewählte Übertreibungen: Gespräche und Interviews 1993-2012 (German Edition)
plädieren in Ihren Büchern für eine Kollaboration des Menschen mit der Technik: sich technisch aufrüsten, biologisch optimieren, digital vernetzen, daran ist nichts a priori Falsches.
Sloterdijk: Mein Technizismus ist Teil meines Entwurfs einer Allgemeinen Immunologie. Er betrifft vor allem das, was ich die »Inkubatorsysteme« nenne. Man muß die Menschheitsgeschichte als eine Serie von Versuchen verstehen, den menschlichen Brutkasten zu optimieren. Wir sind ja seit je Brutkastengeschöpfe. Von Anfang an ist homo sapiens darum hybridisiert. Er ist erst im Rahmen einer langen, unbewußten Selbstzüchtungssequenz zu dem Ausnahmewesen geworden, das er ist, und dieses Experiment hat immer schon in einem von Werkzeuggebrauch ermöglichten Brutkasten stattgefunden. Das wird uns heute langsam bewußt – und es wäre naiv, um nicht zu sagen reaktionär, sich dieser Einsicht zu verschließen.
Scheu: Was einst unbewußt ablief, rückt nun in die Nähe der bewußten Manipulation.
Sloterdijk: So ist es. Deshalb steht für mich über der Humanbiotechnik das absolute Pfuscherei-Verbot. Nur was mit hoher Präzision gekonnt wird, ist ethisch verantwortbar. Aber wenn man tatsächlich zuverlässig könnte, was man können müßte, um beispielsweise gewisse schauerliche Formen von Erbpathologien zu eliminieren, würde man keinem Menschenrecht zuwiderhandeln. Es gibt ja keine Menschenpflicht zur Krankheit! Ich würde mich für einen zweiten hippokratischen Eid stark machen. Die Ärzte sollen geloben, nicht nur die Gesundheit als solche, sondern auch die Bedingungen der Möglichkeit von Gesundheit zu begünstigen. Wer dawider handelt, etwa durch Vernachlässigung von Forschung, macht sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig.
Scheu: Sie haben sich mit solchen Aussagen in Deutschland unbeliebt gemacht.
Sloterdijk: Man wird hier schnell in die Ecke der Unmenschen gestellt. Die Schweizer sind da zum Glück pragmatischer.
----
[ 25 ] Dieses Gespräch zwischen Peter Sloterdijk und René Scheu erschien unter dem Titel »Die Athletik der Sterbens« in Schweizer Monatshefte (6/2007, S. 34-39).
René Scheu ist Chefredakteur und Herausgeber des Magazins Schweizer Monat .
Erfülle deine Genießerpflicht!
Im Gespräch mit Christoph Bopp [ 26 ]
Bopp: Herr Professor Sloterdijk, wie äußern sich überhaupt Philosophen heutzutage? Ich erinnere mich, bei Ihnen irgendwo den Begriff »Explikation« gelesen zu haben, glaube aber nicht, daß Sie ein analytischer Philosoph und an der Bedeutung von Wörtern interessiert sind. Was macht heute einen philosophischen Autor aus?
Sloterdijk: Sie fangen gleich mit letzten Fragen an! Nach den Regeln der Kunst müßten Sie doch jetzt Dinge fragen wie: Wie denken Sie über die Tatsache, daß der Herbst kommt? Oder: Wie steht es um Ihr Verhältnis zur Schweiz? Aber Sie wollen es gleich so grundsätzlich wissen, daß nach der richtigen Auskunft nur noch erleuchtetes Schweigen folgen kann.
Bopp: Das möchten wir doch lieber verhindern. Aber der Journalist darf auf Nachsicht hoffen, wenn er gleich so mit der Tür ins Haus fällt. Angesichts des Umfangs Ihres Werks besteht ja durchaus die Gefahr, daß er nach Dingen fragt, die er hätte wissen müssen. Und die Frage nach dem Selbstverständnis des Autors ist immerhin eine, bei der man einigermaßen sicher sein kann, daß sie bisher höchstens indirekt beantwortet worden ist.
Sloterdijk: Ja, wie sieht der Autor sich selbst? Sich als Autor zu konzipieren, ist an sich schon eine Aussage von einigem Gehalt. Die meisten Menschen können oder wollen Autorschaft nicht reklamieren. Ich selber kann das auch nur im Rückblick auf einen Lebensweg tun, der durch die rund 30 Momente markiert ist, in denen meine Bücher das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben. Schaut man auf eine solche Strecke zurück, kann man schlecht leugnen, daß man ein Autor ist – und zwar auch dann, wenn man in seinem Werdegang berührt war von der Strömung, die in den 70er Jahren durch den kulturellen Überbau rollte: Damals sprach man allen Ernstes von einem traurigen Ereignis, das »Der Tod des Autors« hieß.
Bopp: Nun, das Subjekt ist philosophisch auch schon gestorben.
Sloterdijk: Sein elendes Ende gehört in dieselbe Welle von Totsagungen. Doch spukt auch das Subjekt noch immer sehr vital herum, genau wie der gespenstische »Autor«. Nehmen Sie meinen Fall: Wie kann ein Toter 30 Bücher schreiben? An welchem Schreibtisch könnte er das getan haben?
Bopp: Immerhin haben Sie
Weitere Kostenlose Bücher