Ausgewählte Übertreibungen: Gespräche und Interviews 1993-2012 (German Edition)
Kommunismus … (Eine weibliche Stimme sagt im Lautsprecher: »Haben Sie Lust auf ein Frühstück? Wir bedienen Sie gerne.«)
Sloterdijk: Da haben Sie die Antwort auf Ihre Frage! Eine Stimme von oben sagt dir deine Bedürfnisse vor. Das ist der Konsumismus selbst. Sie haben doch zweifellos jetzt Lust auf ein Frühstück? Ja? Dann ist es Ihre verdammte Pflicht, es zu genießen. Und wenn Sie nicht genießen können, wir sind dazu da, Ihnen Wege und Möglichkeiten zu zeigen, wie Sie doch zum Genuß kommen. Das ist der neue kategorische Imperativ: Erfülle deine Genießerpflicht!
Bopp: Ist dieser Imperativ verallgemeinerbar?
Sloterdijk: Absolut. Er verlangt von uns ja nur anzuerkennen, daß wir zum Stoffwechsel berufen sind. Dagegen kann man wenig sagen. Früher empfand man es als einen irdischen Fluch, daß man – als Stoffwechsler – an den materiellen Bereich angekettet ist. Der Geist hingegen kennt keinen Hunger, ihn treibt höchstens eine Sehnsucht, die höheren Dinge zu betrachten. Heute stellt man die Dinge umgekehrt dar. Es heißt jetzt, vergiß alles, was dich bedürfnislos machen könnte. Meide die Versuchung durch Bedürfnislosigkeit wie die Pest. Laß dir nicht einfallen, du könntest dich aus dem Dauerkreislauf des Konsums herausschwindeln. Dein Körper hat seine Verbraucherpflichten zu erfüllen
Bopp: Nur der Körper?
Sloterdijk: Nein, auch die Sinne sind längst zum Dienst eingezogen. Das Auge steht im Bilderdienst, Tag und Nacht. Das Ohr im Musik- und Geräuschedienst, und seit die Wellneß-Welle rollt, ist auch die Haut im ständigen Fühldienst. Über allem schwebt der moderne Engel des Wohlstands. Er sagt nicht mehr: »Fürchtet euch nicht!« wie damals zu den Hirten, sondern: »Enjoy it!«
Bopp: Ist es ein monotheistischer Engel?
(Peter Sloterdijks neues Buch trägt den Titel: Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen .)
Sloterdijk: Der Konsumismus ist eine Haltung von hoher anthropologischer Anschlußfähigkeit. Ich vermute, daß alle Kulturen, die ein hohes Maß an Über-Ich-Bildung gekannt haben, sich relativ leicht konsumistisch drehen lassen. Wer an den Dienst- und Leistungsgedanken gewöhnt ist, kann diese Prinzipien auch auf das Konsumieren ausdehnen. Zuerst leistet man etwas, dann leistet man sich etwas.
Bopp: Aber ist nicht der Kapitalist der Asket und der Aristokrat der Genießer?
Sloterdijk: So wollte Max Weber die Dinge sehen, aber seine Optik war einseitig. Der Kapitalismus wurde mindestens ebensosehr vom Luxus der genießenden Klassen angetrieben. Noch heute erleben wir hierfür Anschauungsunterricht: In Afrika und in den Erdölstaaten Arabiens hat sich ein psychohistorisch informatives Phänomen breitgemacht: ein Exzeß genießender Nichtsnutzigkeit. Über Nacht wurde der arabische Männerstolz vom plötzlichen Reichtum überwältigt, dabei entstanden die Ölprinzen, diese Quereinsteiger in den Extremkonsumismus, die man jüngst auch mit den neureichen Russen vergleichen kann. Die Erfahrung der Arbeit haben diese Leute nie gemacht. Man sieht daran, wie leicht der Konsumismus in die Psyche eindringt: Offenbar sind Menschen von Haus aus luxusbereite Wesen. Von allen Seiten her sind Einstiege möglich: Ob Shintoist, ob Calvinist, ob Katholik, ob Animist – im Reichtum angekommen, reagieren die Menschen sehr ähnlich: Sie fühlen sich endlich verstanden und angekommen!
Bopp: Ist Luxus globalisierungsfähig? Könnte er den ewigen Frieden bringen?
Sloterdijk: Das ist psychologisch ebenso unmöglich wieökonomisch. Zum Luxus gehört es, daß er starke Paradoxien erzeugt. Lebenszufriedenheit läßt sich nie vom Netto-Luxus herleiten. Sie lebt ganz wesentlich vom Vergleich: Die meisten würden gern auf absolute Vorteile verzichten, solange sie relativ besser dastehen als andere. Erste Plätze für alle kann es aber nicht geben. Dieses Paradox bleibt unübersteigbar, kein Egalitarismus kommt darüber hinweg. Es wird immer eine Gruppe von Leuten geben, die »gleicher« sind als alle anderen.
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[ 26 ] Dieses Gespräch zwischen Peter Sloterdijk und Christoph Bopp erschien unter dem Titel »Der neue Kategorische Imperativ: ›Erfülle deine Genießerpflicht!‹« in: (Abfragedatum 9.1.2013).
Christoph Bopp ist ein Schweizer Journalist.
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