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Ausgewählte Übertreibungen: Gespräche und Interviews 1993-2012 (German Edition)

Ausgewählte Übertreibungen: Gespräche und Interviews 1993-2012 (German Edition)

Titel: Ausgewählte Übertreibungen: Gespräche und Interviews 1993-2012 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Sloterdijk
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lernen, die dazu gehören, um ihn in dieser anderen Szene verkehrsfähig zu machen.
    Methfessel/Ramthun: Unsere Gesellschaft ist so strukturiert, daß sie sich nicht von staatlicher Bevormundung emanzipieren kann?
    Sloterdijk: Nicht so bald jedenfalls. Unsere staatlichen Ordnungsleistungen sind so umfassend und ausdifferenziert, daß es auf lange Sicht die Kräfte des Marktes überfordern würde, dies in eigener Regie leisten zu wollen. Ein gewisses Maß an Entstaatlichung der Schule, genauso der Universitäten und der Wissenschaften wäre dennoch sinnvoll. Es wäre a priori keine Kulturkatastrophe, wenn die Universität mehr Elemente eines privatwirtschaftlich geführten Betriebes aufnimmt und wenn die Wissenschaftler etwas weniger von der Bürokratie abhängig wären.
    Methfessel/Ramthun: Wie kommt es, daß gerade wir Deutschen so staatsgläubig sind, im Unterschied etwa zu den angelsächsischen Ländern?
    Sloterdijk: Das hat damit zu tun, daß wir, wie alle kontinentalen Völker, einen sehr stark vom Territorialismus geprägten Staatsgedanken haben. Und damit auch einen sehr tragischen Staatsgedanken. Das heißt, der Staat ist dazu da, daß man für ihn soll sterben können. Die Nation ist letztlich eine Opfereinheit, und das ist etwas, was die eher maritimen Kulturen, diese neonomadischen Kollektive der Engländer und Amerikaner so nie nachvollziehen wollen. Aber auch wir Kontinentalen verabschieden uns inzwischen ja immer mehr vom erhabenen Staat, der den Tod gibt und Opfer fordert.
    Methfessel/Ramthun: Wenn man sich das wachsende Ausmaß an Steuerhinterziehung, an Schwarzarbeit anschaut, sind die Deutschen zunehmend weniger zu finanziellen Opfern für den Staat bereit.
    Sloterdijk: Die Steuersätze sind in geschichtlicher Perspektive extrem hoch. Die sogenannten Besserverdienenden merken, daß sie beim Verdienen den Komparativ haben, aber bei der Besteuerung den Superlativ. Man wird für Erfolg bestraft, und das ist ein falsches Signal – das von dem nach wie vor existenten erhabenen Staat mit einer erhabenen Gemeinschaftsidee und einer erhabenen Umverteilungsideologie ausgeht und die Verletzung der bürgerlichen Haushalte und den Eingriffin die Vermögen der Bürger rechtfertigt. Aber die Duldsamkeit der Bevölkerung gegenüber diesen Eingriffen läßt nach, weil die Steuer immer nur als erlitten empfunden wird.
    Methfessel/Ramthun: Wie ließe sich denn erreichen, daß die Bürger weniger leiden und gerne geben?
    Sloterdijk: Es kommt darauf an, die Abgaben, die Steuern zu subjektivieren, so daß man nicht nur dumpf etwas hergibt von dem, was man erwirtschaftet hat, sondern daß man das einem Ziel widmen kann. Das Sponsoring zeigt beispielhaft, was hier möglich wäre.
    Methfessel/Ramthun: Das wäre ein Systembruch: Steuern sollen ja nicht einem konkreten Ziel dienen, sondern die gesamte Staatstätigkeit finanzieren.
    Sloterdijk: Gewiß, aber wenn der Staat nur als der imaginäre Gesamtzuhälter der Gesellschaft alles herauszieht, was er kriegen kann, aber nicht überzeugend darlegt, was er damit macht, dann entsteht Steuerpassivität, und am Ende entziehen sich die Bürger durch Steuerflucht. Jeder, der etwas von Wirtschaft und von intelligenter Allokation versteht, kann nicht einverstanden sein damit, wie diese massenhaften Umverteilungen stattfinden. Wenn die Regierungen hier nicht klüger werden, werden wir immer stärker diesen eigenartigen sozialpsychologischen Effekt beobachten, daß immer wohlhabendere Menschen immer unzufriedener werden.
    Methfessel/Ramthun: Damit würde der Staat seine eigene Existenz bedrohen, indem er das Vertrauen, auf dem sich die Gesellschaft gründet, zerstört?
    Sloterdijk: So ist es. Es gibt unzählige Umverteilungsbereiche, die mit anderen Mitteln viel intelligenter und effizienter bewerkstelligt werden könnten. Ich denke an das Arbeitslosengeld, an den ganzen Sozialstaat, der mehr im Sinne von Anreizen, viel unternehmerischer und weniger verbraucherstaatlich organisiert werden müßte.
    Methfessel/Ramthun: Unternehmerisches Denken soll den Sozialstaat retten?
    Sloterdijk: Ja, der Unternehmer wird jetzt wieder zum Hoffnungsträger. Ohne eine Unternehmerbewegung, so wie es früher eine Arbeiterbewegung gab, kann sich die Wirtschaft der Gesellschaft gegenüber nicht mehr angemessen erklären.
    Methfessel/Ramthun: Was steht dann auf den Transparenten?
    Sloterdijk: »Unternehmer aller Länder, vereinigt euch« – was sonst? Nur die Unternehmer können im Augenblick das

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