Ausgewählte Übertreibungen: Gespräche und Interviews 1993-2012 (German Edition)
Interesse der Hardware erzeugenden, also der wirklich Wert schöpfenden Industrien und Dienste gegenüber diesem phantomatischen Überbau der spekulativen Finanzwirtschaft glaubhaft vertreten. Nur eine Unternehmerbewegung kann so antikapitalistisch auftreten, wie es jetzt notwendig wäre. Ein Unternehmer-Antikapitalismus ist an der Zeit.
Methfessel/Ramthun: Den Unternehmer als Alternative zum Zerrbild von der Globalisierung, von den anonymen Geldströmen rund um den Globus?
Sloterdijk: Die Unternehmer müssen zeigen, daß die marktwirtschaftliche Basis doch in einer operativen Wirtschaft liegt und nicht in einer Diktatur der Lottokönige. Unternehmer sind die Sozialdemokratie von morgen.
Methfessel/Ramthun: Wie bitte?
Sloterdijk: Natürlich. Die Unternehmer fertigen derzeit zwar neoliberale Selbstbeschreibungen an, die sich aber von Jahr zu Jahr mehr als falsch erweisen, denn letzten Endes können sie sich ja nur rechtfertigen als Produzenten jener Wertschöpfung, die dann die andere Seite der Umverteilung bedient.
Methfessel/Ramthun: So daß die Wirtschaft selbst die Gesellschaft stabilisiert?
Sloterdijk: Genau. Wir haben ja drei Umverteilungsmechanismen: Steuern, Stock market, Stiftungen. Umverteilung muß sein, weil Staatlichkeit und Zivilgesetze notleidend werden, wenn sie nicht genug fundiert sind. Neben der ersten Umverteilungsbühne, dem Sozialdemokratismus, der auf Dauernicht mehr überzeugend ist, hat die Wirtschaft einen zweiten Flügel der Umverteilung entwickelt – das Shareholder-System.
Methfessel/Ramthun: Also Aktionärskapitalismus neben staatlicher Umverteilung. Und was ist die dritte Bühne?
Sloterdijk: Das drücke ich mit dem Begriff der subjektiven Steuer aus. Es gibt schöne Beispiele aus der angelsächsischen Welt, wo Gentlemen-Kapitalismus eine gewisse Tradition hat. Die Stärke des Calvinismus war, daß er einen Menschentypus hervorrief, der bereit war, als Kapitalist fünf Millionen Pfund zu verdienen, um als Teilhaber an der christlichen Zivilgesellschaft vier Millionen Pfund in Stiftungen zu verausgaben. Wir müssen unsere reichen Leute kulturell neu formen und ihnen erklären, daß Reichsein alleine nicht genügt.
Methfessel/Ramthun: Sie plädieren für einen neuen Calvinismus?
Sloterdijk: Einen neuen Calvin? Nein, das war ein unheimlicher, ein unangenehmer Bursche. Ich würde mir da eher eine Mischung zwischen einem Operndirektor und einem Albert Schweitzer wünschen, also jemanden, der Charisma einbringt und auch Millionären wieder Hoffnung gibt.
Methfessel/Ramthun: Damit Geben auch Spaß macht?
Sloterdijk: Reichtum muß Spaß machen. In der Weise, daß der Spaß aus sich selber heraus in den Ernst übergeht. Der Reichtum ist zu ernst, als daß man ihn dem Neid und der Angst überlassen dürfte. Leider wissen die Menschen hier nicht, daß das einzige Gefühl, das das Leben rechtfertigt, die Großzügigkeit ist. In unserem Land sind zu viele Menschen noch nicht lange genug reich, um diese Klugheit zu erwerben und den Schritt in die Generosität zu machen.
Methfessel/Ramthun: Dies könnte erklären, weshalb die Deutschen noch nie so wohlhabend wie heute waren, sie gleichzeitig aber nicht zufriedener werden.
Sloterdijk: Ja, die Menschen stecken hierzulande in einem sozialpsychologischen Dilemma. Und die einzige Möglichkeit, da herauszukommen, wäre die libidinöse Neubesetzung des öffentlichen Raumes in einer Kultur der öffentlichen Großzügigkeit. Dann wird der Reichtum neu gerechtfertigt …
Methfessel/Ramthun: … und die Menschen wären besser gestimmt?
Sloterdijk: Ich will nicht sagen, daß die schlechte Laune verfliegt, sie ist zu sehr im System verankert. Wir haben es schließlich mit einer Neid- und Eifersuchtsmaschine größten Ausmaßes zu tun. Diese Grundspannung läßt sich nicht beseitigen. Aber dem Ganzen läßt sich die böse Spitze abbrechen, wenn man dort, wo Geld ausgegeben wird, mehr Freiheit, mehr Großzügigkeit erlebt und diese Euphorie einer festlichen Spende zurückgewinnt. Man sollte die spirituelle Vereinsamung der reichen Menschen durchbrechen.
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[ 9 ] Dieses Gespräch zwischen Peter Sloterdijk, Klaus Methfessel und Christian Ramthun erschien unter dem Titel: »Reichtum muß Selbstachtung erzeugen« in der Wirtschaftswoche (19. Juli 2001, S. 22-26).
Klaus Methfessel ist Leiter der Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten.
Christian Ramthun ist stellvertretender Leiter des Hauptstadtbüros und seit 1997 bei der
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