Ausgewechselt
Wasseroberfläche zu halten schien. Dann hatte er sein Training beendet und war zu dir herübergeschwommen. Die Physiotherapeutin hatte euch bekannt gemacht, dann war sie unter dem Vorwand, sie müsse noch etwas holen, verschwunden und hatte dich mit Ruben allein gelassen.
Seine Frage kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel: »Du bist der Fußballer, oder?« Du hast die Stirn gerunzelt und er hat erklärt: »Ferruccio hat mir von dir erzählt.«
»Welcher Ferruccio?«
»Der Chefarzt. Du willst ihn doch nicht ewig ›Doktor‹ nennen, oder?«
»Und warum hat der Dok… hat Ferruccio mit dir über mich gesprochen? Was hat er gesagt?«
Ruben schob sich die Haare aus dem Gesicht. »Dass du ein Gewinn für die Mannschaft wärst.«
Wieder hat sich dein Gesicht verdüstert und Ruben hat laut aufgelacht: »Hey, ich habe doch nicht gesagt, du sollst mit uns Lambada tanzen! Ich bin der Mannschaftskapitän, ist doch klar, dass mir das wichtig ist.«
»Und wer ist der Trainer? Ferruccio?« Dabei hattest du die beiden »r« besonders betont. Ruben hatte die mitschwingende Ironie bewusst überhört, dich mit seinen klaren Augen angeschaut und gelächelt. »Wenn du möchtest, stelle ich dich unserem Trainer vor.«
Du hattest das Thema gewechselt: »Warum kannst du so gut schwimmen?«
Er ließ seinen Blick über das Becken schweifen. »Ich habe zwei Jahre gebraucht, um dorthin zu kommen, wo ich jetzt bin. Man lernt vieles.«
»UndwelchenSporthastduvorhergemacht?«DuhättestdiramliebstenaufdieZungegebissen,denn»vorher«bedeutetevorderBehinderung.Undduwusstestjaselbst,dassmanmitdiesemBegriffsehrvorsichtigumgehenmusste.AberRubenschiendirdasnichtübelzunehmen,inseinenAugenwarstdueinverunsicherterJunge,derversuchte,dieDingezuverstehen,sichabersehrschwerdamittat.»IchwarkeinLeistungssportlerwiedu,sondernhabenurabundzueinbisschentrainiert.AbernachdemUnfallhatmirderSportsehrgeholfen.Dasklingtvielleichtabsurd,abergenausowares.Eshatmirgeholfen,michaufkonkreteZielezukonzentrierenundsodenSchmerzzuüberwinden.«
Dann war er verstummt, in seine Augen hatte sich ein Glitzern geschlichen. Du hattest keine so offene Antwort erwartet, für dich war es schwer, über deinen Schmerz zu sprechen, Worte dafür zu finden. Deine Qual schien dir unbeschreiblich, du konntest nur versuchen, sie beiseitezuschieben. Aber Ruben war wie du, du fühltest dich verstanden, zwischen euch gab es eine feste Verbindung. Und er nahm dich ernst, selbst deine banale Bemerkung: »Es ist echt schön hier.«
»Wie im Mutterleib, nicht wahr?«, hatte er grinsend geantwortet, »Wasser und Wärme, die Urelemente des Lebens. Sie helfen uns bei der Regeneration, meinst du nicht auch? Bei unserer Wiedergeburt.«
Schweigend hattest du die riesige Schwimmhalle betrachtet, das ovale Becken, die Kuppeldecke, die Glasfenster, durch die bläuliches Licht strömte. Und plötzlich hast du begriffen, was Ruben mit dem Mutterleib gemeint hatte.
»Das haben sie absichtlich so gebaut, diesen gewaltigen Bauch, der uns nährt und uns beschützt, sich um uns kümmert. Es geht nur um eins: aus eigener Kraft hier wieder rauszukommen«, hatte Ruben hinzugefügt.
»Ich kann es kaum erwarten.«
Die Physiotherapeutin war zurückgekommen und Ruben hatte dir beim Abschied zugelächelt. Er hatte sich mit den Armen am Beckenrand aufgestützt und sich aus dem Wasser gedrückt. Was für ein Gegensatz zwischen dem athletischen Oberkörper und den Beinen: Sein Brustkorb war muskelbepackt, von der Taille abwärts schien er ein anderer Mensch zu sein. Spielerisch leicht hievte er sich in den Rollstuhl, das Wasser perlte an ihm ab. Er sah aus wie eine Renaissance-Statue in einem Springbrunnen, wie eine Kreatur aus der Mythologie, halb Mensch, halb Fisch. Ein Triton, der in seiner glänzenden Schönheit aus den Tiefen des Meeres aufgestiegen war.
Einmal hatte er zu dir gesagt: »Wir sind Verbannte im Exil.« Dabei hatte ein geheimnisvolles Funkeln in seinen Augen gelegen. Du hattest nicht verstanden, worauf er hinauswollte. Ins Exil flüchtete man doch mehr oder weniger freiwillig.
Ihr saßt euch im Café des Therapiezentrums gegenüber. Nach eurer ersten Begegnung am Schwimmbecken war dir klar geworden, dass dir seine Gesellschaft guttat, er schien dir neue Energie zu geben und die Wärme, die du so dringend brauchtest. Ruben war sich seiner positiven Wirkung bewusst, deshalb war er nicht nur beim Training mit der Mannschaft hier, er kam auch oft, um mit verzweifelten Patienten zu sprechen, manche
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