Ausgeweidet (German Edition)
mit der Ermordung von Jacques Briest in Zusammenhang?«, fragt diese zurück.
»Ja. Wer hat Ihnen davon erzählt? Die Presse hat den Namen noch nicht veröffentlicht«, erwidert Maria.
»Was für eine naive Frage. Haben Sie nicht recherchiert? Natürlich Senta, wer sonst? Sie rief mich noch in der Nacht an, nachdem sie ihn in der Gerichtsmedizin identifizieren musste. Übrigens keine gelungene Aktion der ermittelnden Beamten, wenn Sie mich fragen. Mitten in der Nacht und gerade einmal einen Tag nach dem Gerichtsurteil. Etwas mehr Pietät wäre angebracht gewesen.« Die beiden Hauptkommissare stutzen. Solche deutliche Kritik an ihrer Arbeit hören sie nicht oft.
Doch Clemens lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. »Was für einen Eindruck machte sie auf Sie?«
»Aufgelöst, um Fassung ringend, aber das ist ja in der Situation verständlich. Außerdem ist Senta sehr emotional.«
»Wie meinen Sie das? Wird sie aggressiv, lässt sie sich zu unüberlegten Handlungen hinreißen?«, fragt Maria.
Die alte Dame schaut die Fragende fast mitleidig an. »Nein, keineswegs, meine Liebe. Sie hat nahe am Wasser gebaut, sie kann theatralisch werden, wird fahrig oder nervös, mehr nicht. Und nein, sie ist nicht zu einem Mord fähig, auch nicht im Affekt. Das ist es doch, was Sie von mir wissen wollen, oder?«
Wieder übernimmt Clemens. »Hatten Sie den Eindruck, dass ihr der Tod von Briest nahe gegangen ist?«
»Nahe gegangen ja, aber nicht so, wie man es bei einem geliebten Menschen erlebt. Eher bedauernd, als wenn ein Unbekannter zu früh gegangen ist.«
Clemens schaut sie verwundert an. »Das kann ich nicht nachvollziehen. Immerhin wollte sie ihren Ex-Mann im Gefängnis sehen. Sie muss ihn doch gehasst haben für all das, was er ihrer Tochter und ihr angetan haben soll.«
»Herr von Bühlow, das ist doch offensichtlich. Er war auch einmal der Mann, den sie zu lieben glaubte. Mit dem sie die Ehe einging und ein Kind in die Welt gesetzt hat. Es hat bestimmt eine glückliche Zeit gegeben. Sicherlich wird sie sein Tod nicht kalt gelassen haben. Auch wenn Sie sich das nicht vorstellen können. Sind Sie verheiratet?«
Clemens ignoriert die Frage. »Kommen wir zurück zu Ihrer Beziehung zu Frau Hartmann.«
»Ich habe mit Frau Hartmann keine Beziehung, Herr Hauptkommissar, wir sind seit Jahren freundschaftlich verbunden. Wenn Sie Zeit haben, erzähle ich Ihnen gern die ganze Geschichte. Es könnte ja Ihre Ermittlungen bereichern.«
Erika Wagner gießt Kaffee nach und bietet Gebäck an. Maria greift zu, sie amüsiert sich über den flotten Ton der Gastgeberin.
Sie erfahren, dass Erika als junge Frau Mathilde Hartmann begegnete und die beiden sich anfreundeten. Dann kamen die Kinder zur Welt, erst Sebastian, dann Senta, und Erika wurde immer mehr in die Familie aufgenommen. Als Patentante von Senta begleitete sie deren Entwicklung vom süßen Mädchen bis zur vielversprechenden Sängerin. Dann Sentas Heirat, die Geburt von Marie, und sie wird wieder Patentante. Die Tragödie, dass Marie behindert ist. Während der Geburt hatten sich die Ärzte zu spät zu einem Kaiserschnitt entschlossen, es kam zu Komplikationen, zu geringe Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff, deshalb ist Marie entwicklungsverzögert. Dann begann irgendwann die Ehe zu wackeln, und erste Verdachtsmomente gegen den Vater kamen auf.
»Jacques habe ich nie ausstehen können. Doch ich habe es mir zur Regel gemacht, mich rauszuhalten, wenn ich nicht um Rat gefragt werde.«
›Was ihr sicherlich nicht immer gelingt‹, schätzt Clemens.
»Was wissen Sie über den gewaltsamen Tod von Jacques?«, möchte Maria wissen.
»Nur das, was mir Senta gesagt hat. Er ist im Grafenberger Wald erschossen worden. Kein schöner Tod, falls es ein Anfänger war. Aber jemand, der sich mit Gewehren auskennt, wird wohl gut getroffen haben. Ich nehme an, Sie wissen, dass ich passionierte Jägerin bin und immer noch aktiv?«
»Das wäre meine nächste Frage gewesen«, nimmt Clemens den Faden auf. »In welcher Form sind Sie aktiv?«
»Erst gestern war ich mit Freunden auf der Jagd. Leider wird es in dieser Jahreszeit immer beschwerlicher, das Wetter, die Kälte, die Feuchtigkeit. Ich fürchte, ich kann mein Hobby nicht mehr lange ausüben. Vielleicht noch so fünf bis zehn Jahre. Sie schießen doch auch, oder?«
Wieder gehen die beiden nicht auf Erika Wagners Frage ein.
»Würden Sie uns bitte Ihre Waffen zeigen?«
»Sie glauben also doch, dass ich Herrn Briest getötet habe?
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