Ausgeweidet (German Edition)
der es nicht als Vorwurf gemeint hat, macht ihm bewusst, dass er wieder einmal nicht auf dem Laufenden ist, mit welchen Fällen die anderen Hauptkommissare beschäftigt sind.
»Ein Wirtschaftsexperte, Richard Hausmann, der die Stadt berät und damit beauftragt ist, chinesische Unternehmen nach Düsseldorf zu holen, ist vermisst gemeldet. Anfangs hat man diesen Fall wie jeden anderen behandelt, doch nachdem zwei sehr wichtige Verhandlungen geplatzt sind, bei denen er die zentrale Funktion für die Stadt einnehmen sollte, geht man von etwas Ernstem aus.«
»Wann wurde er als vermisst gemeldet?«
»Freitagabend ist er nicht nach Hause gekommen, Samstag hat seine Frau die Anzeige gemacht. Sonntag hätte er eine wichtige Besprechung mit Vertretern der Stadt zur Vorbereitung auf den Montag gehabt, aber auch Montag ist er nicht erschienen. Seit Sonntag geht es beim Kollegen Steinbeißer rund, wie du dir denken kannst.«
»Kannst du trotzdem mal nachfragen?«
»Ich erkundige mich bei der Polizeidienststelle Mitte , ob man dir hilft, aber versprechen kann ich nichts.«
Auf dem Flur begegnet Clemens seinem Kollegen. Rainer Steinbeißer geht nervös auf und ab. Das macht er immer, um sich besser konzentrieren zu können. Beide kennen sich schon seit Jahren und schätzen sich. Trotzdem gibt es zwischen ihnen nicht wirklich einen Draht. Steinbeißer steht kurz vor seiner Pensionierung. Bis heute hat er es nicht verwunden, dass Clemens, ein um Jahrzehnte jüngerer Kollege, anscheinend ohne große Anstrengung so schnell das erreicht hat, was er sich mühsam über die Jahre erarbeiten musste.
Clemens erkundigt sich nach dem Stand der Ermittlungen. Steinbeißer geht von Entführung aus, aber das Motiv ist völlig unklar. Vielleicht hängt die Entführung mit den geschäftlichen Aktivitäten von Hausmann zusammen. Aber den Deal mit den Chinesen hätte man auch anders verhindern können.
»Wenn du mal deine Gedanken sortieren willst, unterstütze ich dich gerne. Mir hilft oft das Gespräch mit jemandem, der nicht direkt involviert ist«, bietet von Bühlow an. Steinbeißer nickt, doch Clemens weiß, dass es nicht dazu kommen wird. Rainer Steinbeißer ist zwar kein Überflieger, aber ein solider Arbeiter, und wenn nicht diese Eifersucht auf Clemens’ Erfolge wäre, könnten sie prima miteinander auskommen.
Maria Esser ist in der Zwischenzeit mit ihrem alten Passat in Oberkassel angekommen. Bis zum Drakeplatz ist es vom Präsidium aus über die Rheinkniebrücke nur ein Katzensprung, aber die Suche nach einem Parkplatz hat mehr Zeit in Anspruch genommen, als sie gedacht hat. Zügig überquert sie den Platz, steuert auf ein modernes Wohnhaus zu und drückt energisch auf den Klingelknopf von Irma Seidlitz. Kaum gibt der Summer die Tür frei, nimmt sie die Treppe. Bewegung tut ihr gut. Auch wenn ihr das Klingelschild verraten hat, dass die alte Dame recht weit oben wohnt.
Plötzlich ertönt eine Stimme: »Nur noch ein Stockwerk, dann haben Sie es geschafft.« Maria blickt nach oben und sieht einen Kopf mit kurzen blondierten Haaren, der sich über das Treppengeländer beugt.
Kaum hat sie die Wohnung betreten und einem Tee zugestimmt, verschwindet Irma Seidlitz in der Küche. Maria schaut ihr hinterher und wundert sich über die aufrechte Haltung. Als ob sie einen Stock verschluckt hätte. Dann blickt sie sich um. Die Maisonette-Wohnung mit Fenstern bis zum Boden ist lichtdurchflutet und in hellen Farben gestaltet. Bis auf einen großen Esstisch, eine Couchgarnitur mit einem Bezug aus einem leuchtenden Stoff mit großen Blumen, wie man es eher dem Geschmack der US-Amerikaner zutrauen würde, und einem Bücherregal, das bis unter die Decke reicht, ist die Wohnung eher spärlich eingerichtet. Lediglich ein großer Golfsack, der an der Wand zur Küche lehnt, passt nicht ins Bild. In diesem Augenblick kommt Irma Seidlitz mit einem großen Tablett ins Zimmer.
»Sie spielen Golf?«
»Ja, schon seit einigen Jahren. Meine Freundin Erika Wagner hat nicht locker gelassen, bis ich es ausprobiert habe.«
»Und? Wie gefällt es Ihnen?«
»Wunderbar. Man ist an der frischen Luft, kann sich bewegen, und es tut dem Körper gut. Etwas anstrengend wird es bloß, wenn Erika einen schlechten Tag hat und die Bälle nicht punktgenau da landen, wo sie es gerne hätte. Dann kann sie schon einmal ziemlich unwirsch werden.«
»Sie unternehmen viel zusammen?«
»Ja. Mit Erika spiele ich Golf, und gemeinsam mit Charlotte gehen wir zum Ballett, ins
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