Ausgeweidet (German Edition)
Feierabend.«
»Was machst du noch?«, fragt Maria auf dem Weg zu ihren Büros.
»Ich werde mir ein Glas Wein genehmigen, vielleicht ein paar Brote schmieren, falls nicht der letzte Rest in meinem Kühlschrank schimmelig ist, und nochmals über die Persönlichkeiten unserer Verdächtigen nachdenken. Übrigens, hast du mitbekommen, woran Steinbeißer sitzt?«
»Nein, keine Ahnung.«
Clemens berichtet kurz. »Mir geht die Entführung nicht aus dem Kopf. Nur so ein Gefühl. Ich werde ihn morgen mal aufsuchen.«
16.
Mittwochmorgen Polizeipräsidium. Draußen ist es noch dunkel, und das grelle Licht in Hendriks Büro quält nicht nur Clemens’ übermüdete Augen. Auch Hendrik schaut blinzelnd auf den Bildschirm seines PCs. Christian auf der Heide ist schon zu den Organisatoren der Ferienfreizeit unterwegs. Und Florian Schmidt und Sonja Melchior weisen die Kollegen von der Streife ein.
Clemens wartet mit einem Becher Kaffee in der Hand auf Maria. Ungeduldig fingert er eine Zigarette aus der Packung und tritt auf den kleinen Balkon hinaus, der direkt vor Flemmings Büro liegt.
»Bei den Temperaturen kann einem das Rauchen vergehen«, murmelt er, denn er hasst es, wenn alle den kalten Rauch riechen können, der ihn bei der Rückkehr ins Warme wie eine Dunstwolke umgibt.
Kurz darauf klopft Maria an die Balkontür.
»Da bist du ja endlich. Was ist denn los?«
»Ganz klassisch: verschlafen.«
Clemens drückt seine Zigarette in einem Blumenkübel aus, der nur noch Erde beherbergt, greift seinen Mantel und eilt Richtung Treppenhaus. Maria, die auf einen Kaffee gehofft hatte, folgt ihm leicht verstimmt.
Langsam wird es hell. Die kühle Luft tut ihnen gut, und sie entscheiden sich spontan für einen kleinen Umweg am Rheinufer. Der Hochnebel, durch den sich vereinzelte Sonnenstrahlen ihren Weg bahnen, taucht alles in eine eigentümliche Atmosphäre, als wenn die Zeit sich verlangsamt. Die beiden gehen schweigend nebeneinander her. Auf der Höhe der ehemaligen Piano-Bar Frontpage biegen sie in die Carlstadt ab, vorbei an der Zicke und dem Hotel Orangerie . Clemens bleibt kurz stehen und lässt das architektonisch reizvolle Ensemble aus Häusern im klassizistischen Stil auf sich wirken.
»Für mich ist das hier einer der schönsten Flecken Düsseldorfs. Mit ein bisschen Fantasie kann man sich das herrschaftliche Treiben in den Adelspalais im 18. Jahrhundert gut vorstellen.« Maria lächelt. Auch sie genießt die ruhige Atmosphäre der historischen Altstadt fernab von den Kneipen rund um die Bolker- und Flingerstraße im Herzen der »längsten Theke der Welt«. Doch sie will weiter und gibt Clemens ein Zeichen, nicht länger zu trödeln. Sie laufen die Benrather Straße entlang und lassen den Carlsplatz links liegen. Noch ist nicht allzu viel auf dem Markt los, doch aus Erfahrung wissen sie, dass hier ein schnelles Durchkommen nur selten möglich ist. Die Besucher haben ausnahmslos die Angewohnheit, sich sehr langsam zu bewegen und oftmals abrupt in den schmalen Durchgängen stehen zu bleiben.
Von der Mittelstraße aus gelangen sie in die Wallstraße, gehen diese ein gutes Stück Richtung Carsch-Haus und bleiben dann vor dem Haus, in dem Schneider wohnt, stehen. Das vierstöckige Wohnhaus besteht hauptsächlich aus Appartements, nicht saniert, aber gepflegt, mit Innenhof und Laubengängen. Clemens drückt gleich auf mehrere Klingelknöpfe, in der Hoffnung, dass irgendwer aufmachen wird. Mit etwas zeitlicher Verzögerung melden sich zwei Stimmen: »Wer ist da?«
»Die Post«, antwortet Clemens mit fröhlicher Stimme und muss sich sichtlich zusammenreißen, um nicht loszulachen. Maria schüttelt nur den Kopf.
Systematisch gehen sie auf den einzelnen Etagen von Tür zu Tür. Doch wie erwartet sind die meisten Bewohner nicht da. Dennoch treffen sie vier Mieter an. Eine ältere Frau, die sehr schlecht hört und nichts von dem mitbekommt, was sich außerhalb ihrer Wohnung abspielt. Eine junge Frau mit einem einjährigen Jungen, der lachend in seinem Ställchen randaliert. Eine 40-Jährige, die sie aus dem Schlaf klingeln, da sie Nachtdienst im Krankenhaus hatte. Und einen brummigen Rentner von der Sorte »mir bleibt nichts verborgen«.
Sie alle beschreiben Schneider als ruhigen, zurückgezogenen Nachbarn, den man kaum wahrnimmt. Die Krankenschwester ist ihm öfter im Treppenhaus begegnet, wenn sie zum Nachtdienst ging.
»Meistens war er ziemlich angetrunken, aber in den vergangenen Wochen tauchte er nicht mehr auf.«
Der
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