Ausgeweidet (German Edition)
Rentner versucht, den Eindruck zu vermeiden, er interessiere sich mehr als über das normale Maß hinaus für seine Nachbarn, kann aber mit einigen Details aufwarten. So berichtet er, dass Schneider die letzten Monate bis spät abends an seinem PC gesessen habe. Es sei ja nicht seine Art, in fremde Wohnungen zu schauen, aber da Schneider nie die Vorhänge zuziehen würde und sein Wohnzimmer immer hell erleuchtet sei, blicke man ganz automatisch durch die Fenster, wenn man am Haus vorbeiginge. Auf Nachfrage von Maria glaubt er beobachtet zu haben, dass Schneider in der letzten Woche morgens ging und am frühen Nachmittag zurückkehrte, um sich dann spät in der Nacht wieder aufzumachen. Was ihn umgetrieben habe, könne er aber nicht sagen.
Maria und Clemens sind sich einig: Schneider hat sich zusammengerissen, weniger getrunken und ist jeden Tag zur Verhandlung gegangen. Aber was hat er bis spät in die Nacht gemacht?
Vor dem Haus in der Wallstraße trennen sich ihre Wege. Maria Esser geht zurück ins Polizeipräsidium, und Clemens von Bühlow macht sich zu Fuß zur Luisenstraße auf. So kann er nachdenken und bekommt mal wieder mit, was sich in der Stadt verändert hat. Durch die Grabenstraße an der großen U-Bahn-Baustelle vorbei gelangt er auf die Kö. Er zieht es vor, am Kö-Graben unter den Platanen zu schlendern. Der neue Rollrasen an der Uferböschung sieht nicht mehr gut aus. Was hat er gelacht, als er erfuhr, dass die Dohlen den frisch ausgelegten Rasen, der noch nicht angewachsen war, umklappten, um an die darunter liegenden Regenwürmer zu kommen.
Nach ungefähr fünfzehn Minuten erreicht er die Luisenstraße. Das Kneipenlokal macht von außen keinen einladenden Eindruck. Kaum hat Clemens die Tür geöffnet, umgibt ihn ein abstoßender Geruch aus kaltem Zigarren- und Zigarettenqualm. An der Theke stehen schon die ersten Gäste beim klassischen »Herrengedeck«, einem Altbier und einem Killepitsch, dem Düsseldorfer Kräuterlikör. Der breitschultrige Mann hinter dem Tresen stellt sich auf Nachfrage als Inhaber der Kneipe vor und gibt bereitwillig Auskunft, nachdem er sich den Dienstausweis des Hauptkommissars hat zeigen lassen. Er bestätigt, dass Lamberty regelmäßig freitags sein Gast sei, geht aber nicht ins Detail. Clemens hakt nicht nach, denn diese Pokerrunden finden in privaten Räumen statt. Lamberty sucht den Kick nicht an den legalen Spielautomaten, die neben der Bar aufgereiht sind.
Anschließend geht er Richtung Mintropplatz, um dort in den Bus der Linie 725 einzusteigen. Interessiert bleibt er vor einem Sushi-Laden stehen, doch der scheint nicht stark frequentiert zu sein, sodass er dieser Versuchung widersteht. Ein Brötchen aus der Kantine muss gegen den Hunger reichen.
Noch im Mantel betritt Clemens das Büro von Hendrik, bittet ihn, alle hier zusammenzutrommeln, und verputzt in Windeseile ein Käsebrötchen. Kaum hat er die letzten Krümel von seinem Mantel geklopft und sich mit dem Taschentuch über den Mund gewischt, erscheinen die ersten Kollegen. Er zieht seinen Mantel aus und blickt in die Runde.
Viel Neues gibt es nicht. Die Befragungen im Umfeld von Sieglinde Frank und Erika Wagner waren erfolglos. Auch die Organisatoren der Ferienfreizeit konnten nichts Außergewöhnliches berichten. Briest habe sich einwandfrei verhalten und sei nie mit den Kindern allein gewesen, da die einzelnen Gruppen von acht bis zehn Kindern immer von zwei Betreuern beaufsichtigt werden.
Sonja meldet sich zu Wort: »Der Abend im Petit Salon geht klar. Schmitz hat vorhin zurückgerufen. Er hat den größten Teil seiner Stammgäste erreicht, informiert und um Mithilfe gebeten.«
»Wer hat Lust?« Clemens schaut seine Kollegen erwartungsvoll an. Niemand meldet sich. Er lässt sie noch ein wenig zappeln, dann deutet er auf Maria.
»Ich schlage vor, wir beide gehen hin. Wir machen uns auch ein bisschen chic.« Maria liebt bequeme Kleidung. Clemens hat sie selten anders gesehen als in Jeans, Sweatshirt und mit ihrer Lederjacke. Bei anderen Frauen mag dies ziemlich burschikos wirken, nicht so bei ihr. Vielleicht sind es die großen Silberringe, die sie abwechselnd trägt, ohne die sie nie aus dem Haus geht und die ihre Weiblichkeit dezent unterstreichen. Maria hingegen würde ihn gern fragen, ob er denn im Smoking käme, da er ja an einem normalen Arbeitstag schon herumlaufe wie zu einem Empfang im Rathaus.
»Florian und Christian, ihr bekommt heute auch mal einen Ausgeh-Abend, inklusive Spesen, versteht
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