Ausgeweidet (German Edition)
Milligramm.«
»Wann hat er das Zeug eingenommen?«, fragt Clemens.
»Ich würde schätzen, Freitag oder Samstag«, antwortet Hummel.
»Kann es schneller gehen, bei Alkoholmissbrauch oder in Abhängigkeit von der Dosis?«
»Wenn der Körper durch regelmäßigen Alkoholkonsum geschwächt ist, ja. Zwar hat Schneider getrunken, auch nicht wenig, aber sein Körper konnte das noch wegstecken. Die körperliche Schwächung ist auf das Gift zurückzuführen. Und um Ihre Frage nach der Dosis zu beantworten: Es geht schneller, je mehr man davon eingenommen hat«, erklärt der Gerichtsmediziner.
»Hat er viel zu sich genommen?«
»Nicht übermäßig viel, aber genügend, um sich zu verabschieden.«
»Könnte es sein, dass er die Dosierung so gewählt hat, dass ihm noch ein bescheidener Zeitraum blieb, um die Entführung, wie auch immer, zum Abschluss zu bringen?«
»Könnte sein. Aber dann müsste er sich intensiv mit pflanzlichen Giften beschäftigt haben.«
Clemens wendet sich Hendrik zu: »Hast du dazu etwas auf dem Rechner gefunden?«
»Nein, das wäre mir aufgefallen. Aber ich kann ja noch mal gezielt danach suchen.«
»Das erklärt Schneiders Verhalten bei den Vernehmungen, apathisch und nicht mehr bereit zu reden, oder gar nicht mehr dazu fähig«, meldet sich Steinbeißer zu Wort.
»Und noch ein Mosaikstein dafür, dass wir hier von zwei unterschiedlichen Tätern ausgehen müssen, so wie ich es zuvor dargelegt habe.« Clemens schaut Pia Cremer erwartungsvoll an.
»Ich habe immer noch Vorbehalte. Aber gut, riskieren wir es. Ich beantrage gleich den Durchsuchungsbeschluss beim Richter für das Haus von Erika Wagner.«
Clemens ist sichtlich erleichtert. Er nickt Flemming zu, der sogleich zum Telefonhörer greift und Schoeller informiert. Nachdem die Oberstaatsanwältin gegangen ist, diskutieren sie noch eine Weile. Auch Maria sieht die Hausdurchsuchung kritisch.
»Hast du eine bessere Idee?«
»Wir müssen die Stammkunden im Salon genauer unter die Lupe nehmen.«
»Ja, aber wo sollen wir da ansetzen? Wir können nicht wahllos Leute herauspicken.«
Clemens fährt sich mit der Hand durch seine Locken und fragt dann Flemming: »Wie sicher ist es, dass der Junge tatsächlich alle Kennzeichen aufgeschrieben hat?«
»Der Vater sagt, er macht das mit so viel Begeisterung und Gewissenhaftigkeit, dass er schon von Vollständigkeit ausgeht, aber hundert Prozent sicher ist er natürlich nicht.«
Als die Hauptkommissare und die Spurensicherung bei Erika Wagner eintreffen, will die alte Dame gerade zu ihrem Spaziergang im Grafenberger Wald aufbrechen. Ungläubig betrachtet sie das Schreiben der Staatsanwaltschaft.
»Was soll denn das?«, fragt sie erbost.
»Das sehen Sie doch«, rutscht es Maria ebenso unfreundlich heraus.
»Sie hätten sich ja wenigstens vorher anmelden können, jetzt bringen Sie mir meinen ganzen Tagesablauf durcheinander.« Erika Wagner versucht gar nicht erst, ihren Ärger zu unterdrücken. Clemens ahnt, dass sie, wenn es mal nicht nach ihren Vorstellungen läuft, aufbrausend, jähzornig und sehr laut werden kann. Wütend gibt sie den Weg frei.
»Ich mache Sie für alles verantwortlich, was zerstört wird. Eine Zumutung ist das. Und Sie verstehen bestimmt, dass ich Ihnen unter diesen Umständen nichts anbiete. Gehen Sie nur ja sorgsam vor.«
Sie setzt sich, immer noch aufgebracht, ins Wohnzimmer, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie schimpft wutschnaubend vor sich hin und atmet zischend aus.
Ein Team beginnt, sich vom Dachgeschoss systematisch nach unten zu arbeiten, ein zweites geht direkt in den Keller und nimmt die Heizungsanlage in Augenschein. Nach einer Viertelstunde setzen sich Maria und Clemens unaufgefordert Erika Wagner gegenüber. Das Gespräch ist alles andere als angenehm, sie antwortet nicht auf die Fragen, sondern schimpft: »Suchen Sie gefälligst den Mörder, und belästigen Sie nicht unschuldige Menschen.«
Clemens hört sich den Redeschwall gelassen an, Maria hingegen wird blass um die Nase. Ein typisches Anzeichen dafür, dass sie gleich explodiert. Er nickt ihr zu, sie steht auf und geht, sie hat den Wink verstanden. Clemens gibt seiner Stimme einen drohenden Unterton: »Wir können auch auf dem Präsidium weiterreden.« Doch Erika Wagner lässt sich nicht einschüchtern.
»Wollen Sie mir Handschellen anlegen und mich mit Gewalt abführen?«, blafft sie.
»Wenn Sie nicht vernünftig werden, dann schon«, kontert Clemens und lässt sie allein.
Kurz darauf geht
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