Ausgeweidet (German Edition)
Erika Wagner in den Flur. Am Treppenabsatz bleibt sie stehen und lauscht den Stimmen der Polizeibeamten, die aus dem Keller und aus dem oberen Stock zu hören sind. Sie steigt die alte Holztreppe hinauf. Ihre Schlafzimmertür ist weit geöffnet, und ein Beamter der Spurensicherung durchsucht gerade ihre Kommode. Sofort bricht es aus ihr heraus:
»Sofort die Finger da weg!« Flink eilt sie auf den Kriminaltechniker zu. Der dreht sich verblüfft um. Bevor er etwas sagen kann, wird er unsanft von der Kommode weggeschubst.
»Was erlauben Sie sich, in meiner Wäsche zu wühlen! Hat Ihnen Ihre Mutter keinen Anstand beigebracht?!« Ihre Augen funkeln angriffslustig.
»Beruhigen Sie sich.« Doch Erika Wagner kommt jetzt erst richtig in Fahrt, baut sich vor ihm auf und bohrt ihm ihren Zeigefinger in die Brust.
»Wagen Sie es nicht, nochmals meine Leibwäsche anzufassen.« Eine Hand legt sich auf ihre Schulter. Sie dreht sich um und blickt in Clemens’ ernstes Gesicht.
»Hausdurchsuchungen sind immer unangenehm, aber Sie haben es bald überstanden.« Doch nun bohrt sich ihr Zeigefinger auch in seine Brust.
»Das wird für Sie Konsequenzen haben. So etwas lasse ich mir nicht gefallen.« Sie lässt von ihm ab, knallt die Schlafzimmertür zu und stampft die Treppe hinunter. Clemens geht sich mit der Hand durch seine dunklen Locken, nickt dem Kollegen aufmunternd zu und verlässt das Schlafzimmer, um nach Schoeller zu sehen, der im Keller beschäftigt ist.
Mehr als eine Stunde ist vergangen. Gefunden haben sie nichts. Clemens tippt Schoeller auf die Schulter.
»Hast du etwas gefunden?« Schoeller schüttelt den Kopf.
»Im Heizkessel ist etwas verbrannt worden, da entsteht aber so eine Hitze, dass nichts übrig geblieben ist. Außerdem ist der Ofen gereinigt. Wir haben trotzdem Proben entnommen, vielleicht lässt sich da noch was herausfinden.«
»Was ist mit dem Wagen von Erika Wagner?«
»Auch der penibel sauber. Aber den nehmen wir mit.«
»Wie sieht es mit dem ›Jagdzimmer‹ aus?«, will Maria wissen, die dazu gestoßen ist.
»Nichts, keine Zange, keine Rippenschere und auch kein Jagdmesser – erstaunlich, nicht?«, bemerkt Schoeller süffisant. Die Utensilien im Jagdzimmer sind mit einer leichten Puderschicht bedeckt. Clemens will sich den Sturm der Entrüstung erst gar nicht vorstellen.
Inzwischen hat sich Erika Wagner in die Küche geflüchtet, da die Kollegen der Spurensicherung das Wohnzimmer auseinandernehmen. Maria folgt ihr.
»Wir sind hier bald fertig. Danach begleiten Sie uns bitte zum Polizeipräsidium.«
»Mit Sicherheit nicht, meine Liebe. In einer Stunde kommen meine Freundinnen und danach das Essen. Heute ist Freitag, das dürften Sie ja wohl noch erinnern.«
»Wir können uns auch eine nette Befragung zusammen mit Ihren Freundinnen vorstellen. Aus dem Canasta-Abend wird heute sowieso nichts.« Maria amüsiert sich über ihre eigene Bemerkung. Gerade setzt die resolute Frau zu einer Gegenbemerkung an, da beendet Clemens von Bühlow mit einem »Schluss jetzt!« den verbalen Schlagabtausch. Sein autoritärer Ton zeigt, dass er mit seiner Geduld am Ende ist.
»Sie verkennen die Situation gründlich. Sie stehen unter Verdacht, Jacques Briest umgebracht zu haben. Entweder wir unterhalten uns jetzt hier oder Sie kommen mit aufs Präsidium. Wenn Sie rechtlichen Beistand wünschen, können Sie Ihren Anwalt anrufen.«
»Ich brauche keinen Anwalt, junger Mann. Nur weil Sie offensichtlich nicht in der Lage sind, den Täter zu finden, müssen Sie mich terrorisieren. Sie sollten sich schämen, Herr Hauptkommissar!« Sie schaut ihn herausfordernd an.
»Frau Wagner, bitte.« Clemens versucht es wieder freundlich.
»Also gut, stellen Sie Ihre Fragen. Aber bitte hier in der Küche, alles andere ist ja wohl ein Ort der Verwüstung.«
Die Befragung verläuft ruhig, doch sie kommen keinen Schritt weiter. Immer die gleichen Antworten, ohne dass Frau Wagner sich auch nur ansatzweise widersprechen würde. Sie spult den Tagesablauf des letzten Freitags herunter und beharrt auf der Richtigkeit ihrer früheren Aussagen.
Nach einer Stunde, die Kriminaltechniker sind längst gegangen, klingelt es an der Tür. Charlotte Prochnow und Irma Seidlitz sind wie gewohnt pünktlich. Frau Wagner öffnet ihren Freundinnen. Als sie die Hauptkommissare sehen, sind sie irritiert.
»Spielen Sie heute mit?«, fragt Irma Seidlitz.
»Davon würde ich abraten«, meldet sich Charlotte Prochnow zu Wort. »Wir haben kein
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