Ausgewichtelt
Endlich habe ich allein alle Zauberkräfte, und ich bestimme, dass es von nun an kein Weihnachten mehr gibt. Schluss, aus!«
Der Weihnachtsmann wusste, dass er geschlagen war. Er streckte den Arm nach dem Stein aus, doch der schadenfroh grinsende Staalo hielt die Kette hoch über seinen Kopf. Alles war verloren, Weihnachten war nicht mehr zu retten. Der Staalo ließ die Kette gerade so hoch über ihm baumeln, dass der Weihnachtsmann nicht herankommen konnte. In dem Moment hörte der Weihnachtsmann den letzten guten Wunsch eines Kindes, den eine einsame Schneeflocke ihm zutrug, und spürte, wie sein Herz brach. Würden die Kinder von nun an vergeblich hoffen?
Doch plötzlich hörte er noch etwas anderes. Ein kleines, wild entschlossenes Wesen näherte sich. Sein Herz pochte heftig, und seine Flügel schlugen mit aller Kraft, als es sich zum Gipfel des Berges hinaufkämpfte. Der Weihnachtsmann hörte, wie der Ankömmling sich Mut zuflüsterte.
»Jetzt darf ich nicht kneifen, obwohl ich furchtbare Angst habe. Ich muss weiter, ich muss es schaffen, denn jetzt ist der Moment der Heldentat gekommen, auf die ich mich so lange vorbereitet habe. Ich habe entsetzliche Angst, aber ich muss es tun.«
Der Weihnachtsmann sah die kleine Sumpfmeise, die mit allen Kräften die Flügel schlug, um es bis nach oben zu schaffen. Ein Windstoß kam ihr zu Hilfe und trug sie ein gutes Stück höher. Erst da begriff der Weihnachtsmann, dass die kleine Kyksi zitternd, aber unbeirrbar auf den riesigen Staalo zuflog.
»Jetzt darf ich nicht zögern, ich muss angreifen«, wisperte Kyksi mit bebender Stimme.
Der Staalo lachte boshaft und hob die Hand noch höher, und der Weihnachtsmann sah, dass sich allmählich kalter Reif auf den Stein legte. Dann machte der Staalo, immer noch lachend, Anstalten, sich die Kette des Weihnachtsmannes umzulegen. Der winzigen Sumpfmeise schenkte er keine Beachtung.
Da beschleunigte ein zweiter Windstoß Kyksis Flug. Sie legte ihre Flügelchen zum Sturzflug an und schoss wie ein Pfeil auf den Staalo zu. Verblüfft sah der Staalo, wie der spitze schwarze Schnabel der Sumpfmeise ihm den Polarlichtstein aus der Hand nahm. Dann flog der Vogel einen kleinen Kreis und ließ den Stein direkt in die Hand des Weihnachtsmannes fallen. Rasch schloss der Weihnachtsmann seine Faust und spürte, wie die Wärme seiner Hand den Reif auf dem Stein zum Schmelzen brachte.
Der Staalo brüllte vor Wut und fuhr mit seinen großen Pranken durch die Luft. Kyksi unternahm hastige Ausweichmanöver, flog hierhin und dorthin, flatterte mit ihren kleinen Flügeln und schlüpfte dem rasenden Staalo durch die Finger, einmal, zweimal – doch beim dritten Mal entkam sie ihm nicht. Die starke Pranke schnappte Kyksi mitten im Flug und drückte zu. Ein böses, widerliches Knacken war zu hören.
Der Weihnachtsmann kniete erschöpft im Schnee und hängte sich die Kette um. Da flammte der erste Schimmer des Polarlichts auf. Es zuckte einmal, und der Weihnachtsmann stand auf. Ein zweites Zucken, und alle Müdigkeit fiel von ihm ab. Beim dritten Aufzucken erhoben sich die Wichtel aus dem Schnee. Sie blickten zum Himmel und sahen, wie sich das Polarlicht in seiner ganzen Pracht entfaltete. Nun spürte der Weihnachtsmann das überbordende, unermessliche, zaubermächtige Wunder, das ihm allein vorbehalten war und auf das er ein ganzes Jahr sehnsüchtig gewartet hatte. Das Polarlicht bedeckte nun den ganzen Himmel, und in seinem gewaltigen Glanz wurde der Staalo klein und kraftlos. Er heulte auf, warf den Vogel von sich und floh, vom Polarlicht gejagt, vom Korvatunturi. Er rannte die ganze Strecke bis zu seinem Zauberberg, vergrub sich in der tiefsten Höhle, um dem Zorn des Polarlichts zu entgehen, und beschloss, bis an sein Lebensende dortzubleiben.
Der Weihnachtsmann beugte sich zu dem Vögelchen hinunter und wischte sich die Tränen aus den Augen. Vorsichtig hob er Kyksi auf.
»Es tut weh. Weihnachtsmann, es tut so weh.«
»Pst, das Reden strengt dich an«, sagte der Weihnachtsmann unter Tränen.
»Es tut furchtbar weh. Aber ich war eine Heldin, nicht wahr?«
»Das warst du, tapfere Kyksi. Du warst die größte Heldin, die man sich vorstellen kann. Obwohl du solche Angst hattest, hast du kühn gehandelt.«
»Ja, ich war die kühne Heldin, die ich werden wollte. Und jetzt kann das Polarlicht kommen.«
Der Weihnachtsmann strich vorsichtig über den verdrehten Flügel des Vögelchens und hoffte, dass es bald von seinen Qualen erlöst werden
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