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Ausgezählt

Ausgezählt

Titel: Ausgezählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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immer einen Vorrat parat halten.«
    Brunos Glas war nun auch leer. Sonja schenkte nach.
    Er fragte: »Seh ich ihm tatsächlich ähnlich?«
    Sie plauderten mehr als eine Stunde über Gott und die Welt. Er spürte, dass sie an Lemke noch immer hing, auch wenn sie es niemals zugegeben hätte. Bruno fragte sich, ob sie erwartete, dass er gegen den Minister vorging. Vielleicht genügte es ihr, dass er ihr Wissen teilte und ihr die Beichte abgenommen hatte.
    Beim Abschied sagte sie: »Ich habe versucht, ein guter Mensch zu sein.«
    »Das sind Sie auch.«
    »Nein, Bruno. Als Polizist versuchen Sie, haarscharf zu trennen. Aber keiner ist gut oder schlecht. Wir stehen alle nur dazwischen.«
    »Aber unterschiedlich weit auf der einen oder anderen Seite. Früher waren Sie vielleicht selbstsüchtig. Heute sammeln Sie viel Geld für einen guten Zweck. Was sind schon Ihre Laster? Rotweintrinken und nächtliches Umherwandern.«
    Sie lachte verhalten und ergriff seine Hand. »Viel Zeit habe ich nicht mehr dafür.«
    »Wieso?«
    »Die Nächte werden kürzer.«
    Noch einer dieser Dracula-Scherze. Bruno registrierte, dass er Sonja Lemke mochte. Er legte ihr den Benefizkampf ans Herz. Sie erklärte, sie wolle es sich überlegen. Ihm fiel ein, dass der Minister da sein würde, und Bruno drängte sie nicht weiter.
    Sonja winkte ihm hinterher. Ihr Haus wirkte mit seinen verrammelten Fenstern wie ein gewaltiger Sarg.
    Als Bruno nach Hause kam, blinkte der Anrufbeantworter.
    Die Stimme seines Trainers klang müde. »Hast du eine Ahnung, wo Hannah steckt?«

64.
    Bruno hatte schlecht geschlafen. Sein Schädel brummte, als hätte er zwei Flaschen Rotwein getrunken und nicht bloß zwei Gläser. Er braute sich einen Tee aus ayurvedischen Kräutern, weil immer noch nichts anderes da war. Während der Beutel im heißen Wasser zog, rief Bruno den Coach zurück.
    Kein Lebenszeichen von Hannah – das Mädchen war seit vorgestern Abend verschwunden. Bruno redete Janssen aus, zur Polizei zu gehen. Hannah war volljährig. Es gab keinen Hinweis auf ein Verbrechen, keine Andeutung einer Suizidabsicht. Der Coach vermisste die Tochter noch nicht lange genug. Kein Schupo würde die Anzeige ernst nehmen. Bruno empfahl Janssen, die Bekannten seiner Tochter abzutelefonieren.
    Er sagte ihm nicht, dass Hannah ihn mittlerweile nervte. Die Göre blieb weg, ohne Bescheid zu sagen, und tauchte auf, ohne vorher anzurufen.
    Mit dem Mobiltelefon in der Hosentasche joggte Bruno zwei Kilometer den Rhein entlang. Er wollte für Janssen und dessen Tochter erreichbar sein. Das Handy scheuerte am Schenkel. Bruno passierte eine Schafherde. Die Tiere blökten und liefen durcheinander. Der Hund verfolgte ihn, als wolle er spielen. Ein Schäfer war nirgends zu sehen.
    Auf dem Heimweg kaufte Bruno ein. Als er vor der Kasse des Supermarkts stand, ertönte der Hummelflug. Die Leute guckten, als sei ein Handy noch etwas Besonderes.
    Die Stimme von Kriminalrat Engel: »Fit für den Fight?«
    Sie verabredeten sich für zehn Uhr. Bruno steckte den Apparat weg.
    »Die Melodie würde mich irre machen«, bemerkte die Kassiererin.
    »Nikolai Rimski-Korsakow«, antwortete Bruno und legte zehn Cent für die Plastiktüte drauf.
    Er stapfte die Treppe zu seiner Wohnung hoch.
    Das Haar am Türschlitz fehlte.
    Keine Beschädigung am Stahlschild, das den Schließzylinder abdeckte. Trotzdem war Bruno auf der Hut und versuchte, den Schlüssel so lautlos wie möglich zu bewegen.
    Nach einer Vierteldrehung schnappte die Tür auf – als hätte Bruno nicht doppelt abgeschlossen wie jedes Mal, wenn er die Wohnung verließ.
    »Karen?«, rief Bruno.
    Dann fiel ihm ein, dass nicht einmal seine Frau einen Schlüssel für das neue Schloss besaß. Aber eine Menge Leute verstanden sich auf das zerstörungsfreie Öffnen mittels Picking-Tools. Sportsfreunde der Sperrtechnik – er hatte einst dazugehört.
    Kein Mucks zu hören. Keine Verwüstung in der Küche. Bruno stellte den Einkauf ab.
    Nichts war gestohlen oder beschädigt. Keine Spur eines Eindringlings. Kasimirs Pistole klemmte noch immer samt Schalldämpfer und vollem Magazin hinter der Matratze. Die Filmdosen in der Fototasche waren vollzählig – die dritte Kokskugel aus dem Vorrat des Mösenknipsers Horrenkamp steckte noch in einer von ihnen.
    Alles an seinem Platz.
    Nur Paranoia – Bruno atmete auf.
    Das Haar hatte sich im Luftzug gelöst und war von selbst zu Boden gefallen. Er hatte schlicht vergessen, die Tür abzuschließen, als er zum Laufen

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