Ausgezählt
gegangen war. Ein Zufall und ein Versehen – so was kommt vor.
Nein. Kommt nicht vor.
Bruno lief zum zweiten Mal ins Arbeitszimmer. Das Parkett – keine Fuge größer als die andere. Das Versteck war nicht auszumachen für den, der es nicht kannte. Bruno kniete sich vor den Heizkörper und lockerte das Brett über dem schmalen Hohlraum.
Leer.
Bruno hetzte hinunter. Er hielt Passanten an und befragte sie nach einem silbernen Focus mit Hamburger Kennzeichen. Er entdeckte, dass die Kassiererin im Supermarkt freie Sicht auf die Straße hatte. Bruno stürmte in den Laden und packte die Angestellte am Kittel. Sie riet ihm, den Klingelton am Handy zu ändern.
Er rannte zurück in die Wohnung und wählte Karens Mobilfunknummer – noch immer keine Verbindung möglich. Bruno rief Irene an. Nach endlosem Klingeln wurde ihm klar, dass die Studienrätin in der Schule sein musste. Bruno fand die Nummer im Telefonbuch und ließ sich mit dem Lehrerzimmer verbinden.
Er hatte Glück. Große Pause.
Die Freundin seiner Frau gab sich zugeknöpft. »Ich hab dir doch gesagt, dass Karen erst morgen wiederkommt.«
Die Paukerin verlangte, er solle sie und seine Frau in Ruhe lassen. Irene drohte mit dem Anwalt, mit einstweiliger Verfügung.
Bruno beschimpfte sie als hässliche Schnepfe und knallte den Hörer hin.
Erst jetzt nahm er wahr, dass sein mobiles Telefon den Hummelflug spielte.
Es war Janssen.
Der alte Trainer war ratlos. Er kannte nur wenige Freundinnen seiner Tochter und die wussten nicht, wo das Mädchen steckte. Bruno riet dem Coach, es bei dem Modezaren zu versuchen.
Es klingelte an der Tür.
Bruno sah aus dem Fenster. Kein Mensch vor der Haustür. Er riss den Hörer der Gegensprechanlage aus der Halterung. »Karen?«
Ein zweites Scheppern der Glocke. Bruno lugte durch den Spion. Das Licht im Treppenhaus war erloschen. Vor der Wohnungstür eine lange Gestalt, die ungeduldig auf den Zehen wippte. Das Gesicht lag im Dunkeln.
Bruno holte die Waffe aus dem Schlafzimmer. Er öffnete und zielte.
»Willst du mich erschießen?«, fragte Engel.
Bruno senkte den Lauf. »Ich hab dich erst für zehn Uhr erwartet.«
»Sie haben mich für die Medienbetreuung eingespannt. Um zehn muss ich in der Philipshalle den Gastgeber spielen.«
»Das Dossier ist weg.«
»Die fabelhafte Akte?«
»Sämtliche Aufzeichnungen. Die Listen mit den Adressen. Die Seiten aus meinem Notizbuch. Sogar der Schnappschuss von der Geburtstagsfeier Lemkes von 1991. Das gesammelte Material.«
Auch Engel hatte schlechte Neuigkeiten: Der Kripochef hatte ihm untersagt, den Suizidfall Ingenpass weiter zu untersuchen. Der Kriminalrat war ab sofort dem Pressesprecher der Behörde unterstellt und zuständig für den bevorstehenden Boxkampf.
In der Philipshalle würden in einer Stunde die Cheerleader von Rhein-Fire proben und ein Fernsehteam hatte sich angemeldet, um einen Vorbericht zu drehen. Engel war dazu verdonnert worden, für die Fuzzis von Zeitung und Rundfunk den Grüßaugust zu markieren.
Sie hatten den Kriminalrat kaltgestellt.
Beim Kaffee besprachen sie die Konsequenzen. Da Bruno am Vortag die Adressen der mutmaßlichen Zwischenhändler an Engel durchgegeben hatte, waren zumindest diese Daten gerettet.
Der Unfalltod von Maria Buchmüller interessierte den Kriminalrat nicht die Bohne. Pommers unterlassene Hilfeleistung, Lemkes fahrlässige Tötung – nach Engels Meinung ein Nebenkriegsschauplatz. Die Aussage der Ministergattin, dass Max in der damaligen Zeit Hövel und Konsorten mit Schnee versorgt hatte, ließ ihn jedoch aufhorchen.
Der Lange fragte: »Könntest du Sonja Lemke dazu kriegen, den Sachverhalt zu Protokoll zu geben?«
»Ich denke schon. Aber die Geschichte ist über zehn Jahre alt!«
»Wie heißt die Exfreundin von Hövel?«
»Sibylle Adam, Spitzname Bille.«
»Treib sie auf und lass sie ebenfalls berichten. Wenn auch sie sich an Pommer erinnert, haben wir schon zwei.«
»Max wird es abstreiten. Er wird behaupten, Hövel hätte ihn genötigt. Jeder gute Anwalt wird die Geschichte abschmettern.«
»Egal. Je mehr wir ihm anhängen, desto besser. Es hilft, die Legende vom unbescholtenen KK-33-Leiter zu knacken.«
»Warum knöpfen wir uns nicht gleich die Mitglieder des Drogenrings vor?«
»Kommt nicht in Frage! Bloß nicht die Pferde scheu machen. Wenn Pommer und Seberich die Aktivitäten vorzeitig einstellen und alles vertuschen, sind wir die Dummen.«
Engel hatte Recht. Bruno war dennoch unzufrieden.
Der Lange brach
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