Ausgezählt
Elisabethstraße lenkte. Der Kahle fuhr, als hätten sie ein Blaulicht auf dem Dach.
Bruno erinnerte sich an den Anruf und hörte die Mailbox ab. Karen bat um Rückruf.
»Das Arschloch war ein Scheißnazi«, erklärte der Junge. »Eine fette Sau. Habt ihr seine Titten gesehen?«
»Heb dir das Argument für den Richter auf«, rief Kästner nach hinten. Er war gereizt, weil er seinen Kaffee nicht bekommen hatte.
Bruno drückte die Büronummer seiner Frau ins Handy. Sie kündigte an, dass sie Kollegen vom Sender nach Hause eingeladen habe. Ein Arbeitsessen freier WDR-Mitarbeiter, die über einer Reihe von Reportagen für die Lokalzeit brüten wollten. Bruno erklärte, dass er nicht vor halb elf zu Hause sein werde. Er ließ durchblicken, dass ihm die Vorstellung, Fremden beim Weintrinken zuzuschauen, nicht sonderlich gefiel.
»Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren«, kommentierte Kästner mit Blick in den Rückspiegel.
»Wegen dem Lederschätzchen?«, fragte der Festgenommene.
»Was meint er?«
»Den Totschläger«, erklärte Bruno.
»Lederschätzchen? Geht er damit ins Bett, oder was?«
Der Bursche sagte: »Ihr blamiert euch, wenn ihr das ins Protokoll aufnehmt.«
»Das lass mal unsere Sorge sein«, entgegnete der Kahle.
Bruno beäugte den Kerl an seiner Seite. Er stellte sich ihn mit längeren Haaren vor, die über die vernarbte Stirn hingen. Dunkel erinnerte er sich an eine fröhliche Versammlung. Ebi hatte ihn irgendwohin mitgenommen. Lange her – Bruno hatte gerade erst bei der Kriminalwache angefangen.
Er griff nach vorn, angelte das Notizbuch aus Kästners Jacke und las: Tobias Lauffer, Emmastraße 15, geb. 22.8.1980, Beruf: Taxifahrer.
»Is was?«, fragte sein Partner.
»Irgendwo hab ich sein Gesicht schon mal gesehen.«
»Ich tipp auf Kirmes, Geisterbahn.«
Lauffer streckte Bruno seine Hände hin. »Macht mir endlich die Dinger los, ihr Flachwichser.«
Der Kahle warnte: »Vorsicht, mein Partner ist Niederrheinmeister im Halbschwergewicht. Und die Treppe zum Polizeigewahrsam kann verdammt rutschig sein.«
Der Festgenommene beugte sich zu Kästner vor. »Ich zittere vor Angst, Herr Kommissar. Niederrheinmeister? Du meinst, im Partner-im-Stich-Lassen. Muss ein komisches Gefühl sein für einen Bullen, dem eigenen Kollegen nicht vertrauen zu können, wenn’s mal brenzlig wird.«
Sein Partner warf Bruno über den Innenspiegel einen Blick zu. Brunos Eingeweide verkrampften sich. Er zwang sich, ruhig zu bleiben.
Sie hatten den Fürstenwall erreicht und rollten auf die Festung zu. Kästner griff nach dem Mikro des Funkgeräts und kündigte sie an. Das Tor glitt zur Seite. Der Omega rollte auf den Hof.
Bruno nahm sich vor, die Waffe nicht zu unterschlagen. Sechs Monate bis zehn Jahre Haft standen laut 224 StGB auf schwere Körperverletzung: Vielleicht traf der Taxifahrer auf einen Richter, der das Strafmaß endlich mal ausschöpfte.
Sie lieferten den narbengesichtigen Schläger im Polizeigewahrsam ab.
12.
Eine Elster keckerte in den Zweigen der Birke vor dem Balkon. Bruno drehte sich auf seinem Kissen. Es war noch viel zu früh.
Bruchstücke eines schlechten Traums hallten nach. Ein Mischmasch aus Katastrophen. Fiese Glatzköpfe und vernarbte Visagen.
Die Anzeige gegen den Schläger hatte er gegen Schichtende noch geschrieben. Er fühlte Genugtuung – der Fall Lauffer ging seinen Gang.
Karen schlummerte wie ein Murmeltier. Sie hatte das Essen mit ihren Kollegen ins Ristorante Molino auf der anderen Straßenseite verlegt und Bruno mit einer Notiz, die er an der Garderobe vorgefunden hatte, gebeten nachzukommen.
Er war zu Hause geblieben – das Fernsehvolk unterhielt sich ohnehin nur über den Sender.
Als freie Mitarbeiterin verdiente Karen in manchen Wochen so viel wie er in einem Monat. Verpasste Chancen gingen Bruno durch den Kopf. Vertrödelte Semester, das abgebrochene Jurastudium. Um der Einberufung zur Bundeswehr zu entgehen, war er zur Polizei gegangen. Und um seiner Mutter zu demonstrieren, dass er kein kompletter Nichtsnutz war. Damals hatte er geglaubt, dass ein solcher Beweis nötig wäre.
Er lauschte Karens Atem und betrachtete ihre Sommersprossen. Seine Frau erschien ihm attraktiver denn je. Wenn er ihr Komplimente machte, tat sie, als spotte er nur – vielleicht fand er nicht die richtigen Worte.
Sie war sein Anker in der Welt.
Als er Karen kennen lernte, ging sie mit Manfred Klee, der als Sitzenbleiber in Brunos Klasse gelandet war. Fred und er galten als Außenseiter –
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