Ausgezählt
suchte. Soweit Bruno wusste, hatte Janosch vor ein paar Wochen sogar die Meisterschaft des Landesverbands gewonnen. Der Junge war fünfundzwanzig Jahre alt und Polizeiobermeister in der Kradgruppe der Polizeiinspektion Mitte. Die große Hoffnung des Boxclubs Kamp-Lintfort – offenbar wohnte Janosch draußen am Niederrhein.
Der Gruppenleiter fuhr fort: »Der Polizeipräsident ist ein großer Bewunderer Ihres Sports. Hat sämtliche Fights von Muhammad Ali auf Video. Und ’ne Menge Kämpfe anderer Boxer, deren Namen mir nichts sagen. Er hat mir seine Sammlung gezeigt.«
Der Zitronenfalter entrollte ein Poster. Der Entwurf eines Boxplakats. Stilisierte Handschuhe zu beiden Seiten. Großbuchstaben in schreiendem Rot.
›DER HAMMER‹ Thorsten Janosch ›DER PUMA‹ Bruno Wegmann
Donnerstag, 25. April
Philipshalle Düsseldorf
In memoriam T. Eberhard, M. Groll, I. Luckner
Eine Benefizveranstaltung des Polizeipräsidiums
Düsseldorf und der Kreispolizeibehörde Neuss
zugunsten der Hinterbliebenen der ermordeten
Polizeibeamten
Bruno war sprachlos. Was bildeten sich diese Obermuftis ein? Unter dem Deckmantel des guten Zwecks verplanten sie ihn für einen Schaukampf. Sie verpassten ihm einen dämlichen Beinamen. Wie selbstverständlich ging die Behördenleitung offenbar davon aus, dass er zustimmen würde.
Er schüttelte den Kopf. »Die Vorbereitungszeit wäre viel zu kurz. Außerdem ist es erst im Mai ein halbes Jahr her, dass mein Partner gestorben ist.«
»Im Mai ist die Halle nicht zu kriegen.«
»Wie gesagt, ich nehme nicht mehr an Kämpfen teil. Und dabei bleibe ich.«
»Janosch hat bereits zugesagt. Wir werden landesweit für die Veranstaltung werben. Die Destination Düsseldorf wird den Kampf sponsern. Der Puma – der PP ist richtig stolz darauf, dass ihm ein passender Spitzname für Sie eingefallen ist. Er meint, Sie umschleichen den Gegner wie eine Raubkatze und schlagen blitzschnell zu.«
»Das ehrt mich, aber es wird diesen Kampf nicht geben.«
»Wenn ich den PP richtig verstanden habe, räumt er Ihrem Gegner die größeren Chancen ein. Natürlich haben Sie das Recht zu kneifen, aber …«
»Das hat mit Kneifen nichts zu tun. Abgesehen davon boxt Janosch in einer anderen Gewichtsklasse.«
»Der Landesverband der Amateurboxer macht ’ne Ausnahme, wenn der Unterschied nicht größer als …«
»Schon gut, Herr Geißler, aber ich mach da nicht mit.«
Der Zitronenfalter rollte das Plakat wieder zusammen. Er streifte ein Gummiband darüber und legte es neben das rosafarbene Modellcabrio.
Geißler sagte: »Sie sollten die Videosammlung mal sehen. Der PP hatte glänzende Augen, als er sie mir zeigte. Er rechnet mit Einnahmen in sechsstelliger Höhe. Denken Sie an die Witwe Ihres Partners.«
Bruno stand auf.
»Wegmann, ich will Ihnen noch etwas verraten. Kripochef Dresbach blockiert Ihren Versetzungsantrag. Ich bin sicher, der Polizeipräsident wird sich über den Kripochef hinwegsetzen und Ihnen jeden Wunsch erfüllen, wenn Sie den Kampf gewinnen. Überlegen Sie es sich noch mal.«
»Danke. Aber meine Boxerlaufbahn ist definitiv beendet.«
In der einsetzenden Dämmerung joggte Bruno den Rhein entlang. Er arbeitete für Engel. Die Blockade des Kripochefs war bereits aufgehoben. Dresbachs rechte Hand hatte Zusagen gemacht. Bruno hatte es nicht nötig, sich für die Versetzung mit einem jungen Schwergewichtler zu prügeln.
Nach der Dusche legte er sich aufs Ohr, ohne einschlafen zu können. Er dachte an Karens Worte: Illusionen. Zu verschieden.
Ab heute arbeitete seine Gruppe in der Nachtschicht. Bruno hatte noch eine gute Stunde. Er verließ die einsame Wohnung und setzte sich in sein Auto.
Der Mond hing über dem Rhein. Bruno steuerte den Stadtteil Derendorf an. In der Tannenstraße hielt er unter Bäumen am Rand eines Kinderspielplatzes. Durch die Windschutzscheibe beäugte er die Straße. Ein Mehrfamilienhaus auf der anderen Seite, das vor längerer Zeit saniert worden war. Im Erdgeschoss die Eckkneipe.
Das Palumbo – halbhohe, vergilbte Gardinen hinter matt erleuchteten Fenstern. Bierreklame über dem Eingang. Im Kasten neben der Tür ein fotokopierter Zettel. Bruno musste ihn nicht lesen, um zu wissen, was in einer solchen Spelunke feilgeboten wurde: Doppelkorn und Altbier, Frikadellen ohne Fleischanteil und Käsebrote für kleines Geld. Edamer, der schwitzte und sich wellte. Eine Kaschemme für die Frührentner und Sozialamtskunden aus der Nachbarschaft. Abgestandene Witze
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