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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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da der hölzerne Keil in der Mitte sich in die Furche seiner Hinterbacken presste.
    »Das machen wir, damit du für das Foto ganz aufrecht sitzt«, erklärte der Mann lachend, »und dich nicht in den Stuhl lümmelst wie ein fauler Pole.«
    Piotr fand das nicht lustig, aber zumindest war der Mann freundlich.
    Der Mann spähte in den Sucher und fotografierte Piotrs Gesicht von vorn und von beiden Seiten. Das grelle Blitzlicht blendete ihn einen Moment. Dann bat ihn der Mann, noch einmal die Kleider abzulegen. Piotr zog sich flink aus und erschrak, als er sich für drei weitere Aufnahmen erneut vor die Kamera stellen musste.
    »Du brauchst ein bisschen mehr Fleisch auf den Rippen«, sagte der Mann. »Sie haben dir nicht genug zu essen gegeben, diese Polacken. Füttern zu viel Judenpack durch. Guten deutschen Jungen eine angemessene Ernährung vorzuenthalten! Das werden wir abstellen.«
    Piotr zog sich wieder an. Er fühlte sich zittrig und durcheinander. Wurde erwartet, dass er etwas erwiderte? Es war wohl das Beste, den Mund zu halten. In ein weiteres Formular begann der Mann die Ergebnisse seiner ausführlichen Vermessung von Piotrs Schädel, der Länge und Größe seines Mundes, der Ohrenund der Nase einzutragen. Von einigen Merkmalen wie den Ohren, den Nasenlöchern und Augenlidern fertigte er Zeichnungen an und kommentierte alles mit zustimmendem Gemurmel und ein- oder zweimal sogar mit laut geäußerter Anerkennung. Besonders erfreut schien er über das Ergebnis der Messung des Abstands zwischen Piotrs Stirn und Hinterkopf zu sein.
    »Gib mir mal deine Hände«, sagte er und öffnete eine Blechschachtel mit einem tintengetränkten Kissen. Die Abdrücke von Handinnenflächen und Fingern wurden auf gesonderten Formularen festgehalten.
    Anschließend ließ der Mann Piotr wieder auf dem normalen Stuhl Platz nehmen, um mit sämtlichen Formularen in der Hand erneut den Raum zu verlassen. Kurz darauf kam er in Begleitung von Doktor Fischer zurück.
    Dieses Mal lächelte der Doktor ihn an. Es war ein frostiges Lächeln mit kalten Augen, aber Piotr vermutete, dass er einfach nur versuchte, nett zu sein.
    »Du, mein Freund«, sagte der Doktor auf Deutsch, »bist ein Prachtexemplar nordischer Jugend. Erzähl mir von deinen Eltern. Erzähl mir, wie es dazu kam, dass du hier draußen bei den Polacken lebst.«
    »Mein Vater ist … war … aus Preußen«, sagte Piotr nervös. Er wollte nicht über seine Eltern reden. Es war noch zu frisch und tat zu weh. Außerdem wusste er nicht, ob das, was er sagte, ihn in Schwierigkeiten bringen würde.
    »Seine Familie, das waren immer schon Bauern dort in der Gegend gewesen«, fuhr er fort. »Der Vater meiner Mutter stammte aus Bayern und hat ein polnisches Mädchen geheiratet.«
    Der Mann zuckte kaum merklich zusammen, doch deutlich genug, um sein Missfallen zu verraten. Piotr überlegte, ober seine Geschichte womöglich zu ausführlich erzählte. Aber Doktor Fischer hörte aufmerksam zu und machte sich auf einem Vordruck Notizen. »Gut, gut«, sagte er. »Erzähl mir alles, was du weißt.«
    »Meine Mutter wurde in Polen geboren, aber die Familie zog während des Großen Kriegs nach Deutschland zurück. Meine Mutter stammt auch aus einer Bauernfamilie. Ihre beiden Brüder wurden im Krieg getötet, und als ihre Eltern starben, erbte sie den Bauernhof. Mein Vater, nein, eigentlich meine beiden Eltern, wollten im Grunde gar nicht nach Polen. Sie waren beide in Deutschland aufgewachsen, aber der Bauernhof war groß, mit einem riesigen Gutshaus. Also zogen sie dorthin. Ich wurde ungefähr ein Jahr nach ihrem Umzug dorthin geboren.«
    »Und was um alles in der Welt ist passiert, dass du im Waisenhaus gelandet bist?«, fragte der Doktor. »Bist du denn nicht als Volksdeutscher registriert?«
    »Das waren wir«, sagte Piotr. »Als die Soldaten kamen, war ihnen durch die Art, wie meine Eltern sprachen, sofort klar, dass sie Deutsche waren und keine Polen. Wir wurden auf der Stelle in die ›Deutsche Volksliste‹ eingetragen.« In Piotr regte sich wieder die Empörung. »Das habe ich auch den Leuten im Waisenhaus gesagt und gefragt, wer sich um den Bauernhof kümmern würde, doch sie haben mir nicht zugehört.«
    »Ja«, sagte der Doktor, und seine Miene verfinsterte sich. »Ich werde mir diesen erbärmlichen Heimleiter vorknöpfen. Bestimmt ist deine Eintragung verloren gegangen. Wir haben in den letzten beiden Jahren zwei Millionen Polen deutscher Abstammung bearbeitet. Es wundert mich

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