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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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gekannt hatten, war die Flucht gelungen. Es waren gebildete Leute wie die Reiters und Schäfers selbst, und sie besaßen genügend Einfluss, um sich Visa zu beschaffen. Es war wie ein Lotteriespiel. Wer es geschafft hatte, nach England oder in die USA zu emigrieren, konnte sich glücklich schätzen. Andere hatte es nach Osten verschlagen, nach Polen oder in die Tschechoslowakei; sie steckten, wenn sie überhaupt noch lebten, inzwischen in noch größeren Schwierigkeiten. Die Reiters hörten immer wieder schreckliche Geschichten über die Vorgänge im Osten. So schreckliche Geschichten, dass man sie kaum glauben konnte, über Massenvernichtung in speziellen Lagern. Und diejenigen, die noch in Städten lebten, verhungerten in den Ghettos, die sie nicht verlassen durften.
    Einige der Juden, die es nicht mehr ins Ausland geschafft hatten, waren untergetaucht, aber Menschen, die wie die Schäfers und die Reiters bereit waren, ihnen zu helfen, gab es nur ganz vereinzelt. Wer von ihnen ein großes Haus besaß, versteckte sie auf dem Dachboden oder im Keller. Sie wechselten immer wieder das Quartier, ein erhebliches Risiko besonders für jene, die auffallend »jüdisch« aussahen.
    Die Reiters, die in einer Etagenwohnung lebten, hatten selten »Gäste«. Es war einfach zu gefährlich. Also halfen sie mit Lebensmittel- und Kleidermarken, wo sie konnten. Wenn mehrere Leute einen geringen Teil ihrer Marken abgaben, reichte das gerade, um eine kleine Familie durchzufüttern, ohne den Spendern zu viel von den ihnen zugeteilten Rationen zu nehmen.
    Inzwischen wurden die noch in Berlin verbliebenen Juden nach und nach auf der Straße aufgegriffen, denn sie konnten sich nicht die ganze Zeit in geschlossenen Räumen aufhalten. Aber wenn sie sich hinauswagten, schlug die Gestapo sofort zu und steckte sie in schwarze Lieferwagen. Manchmal fielen Schüsse. Kaltblütiger Mord mitten auf den Straßen Berlins.
    Außerdem gab es Razzien in Häusern, die als geheimer Unterschlupf dienten. »Wenn man das Klopfen ignoriert, ziehen sie wieder ab«, hatte Frau Niemann gesagt. Aber das war wohl eher Wunschdenken. Auch die Reiters hatten Berichte über solche Vorfälle gehört. Ein Auto fährt heran – fast immer nach Einbruch der Dunkelheit. Männer springen heraus und rennen die Treppe hoch. Es wird an die Türen gedonnert und gebrüllt. Die Klingel schellt ununterbrochen. Das Telefon drinnen klingelt unaufhörlich. Öffnet niemand, wird die Tür eingetreten. Die armen Seelen, die sich drinnen versteckt halten, führt man in Handschellen ab. Ula konnte sich diese letzten Momente nur zu gut vorstellen.
    Sie hatte stets das Gefühl gehabt, sie werde den Krieg nicht überleben. Bis zu einem bestimmten Punkt würde Gott seine schützende Hand über sie halten. Aber – das war ihr klar – es gingen auf der Welt zu viele schreckliche Dinge vor, da konnte der Herr nicht viel Zeit erübrigen, um sich um Ula Reiters Rettung zu kümmern. Dem Verlust ihres eigenen Lebens sahsie inzwischen gelassen entgegen. Die Trauer, die sie empfand, war wie leichte Zahn- oder Kopfschmerzen. Wie sie zu Tode kommen würde, lag außerhalb ihrer Vorstellungskraft.
    Otto war anders. Als sie sich kennenlernten, hatte er ihr erzählt, er habe das Gefühl, von geborgter Zeit zu leben. Als junger Offizier im Weltkrieg hatte er in den Schützengräben an der Westfront gekämpft. Nichts, so erklärte er manchmal, könne schlimmer sein als ein wochenlanges Artilleriebombardement. Als er am Ende des Krieges immer noch am Leben gewesen war, hatte er jeden einzelnen weiteren Lebenstag als ein Wunder betrachtet. Ula wusste, dass Otto zäh war und auf sich aufpassen konnte, und obwohl sie ihn liebte, machte sie sich um ihn keine Sorgen. Doch wenn sie an Anna dachte und an das, was die Gestapo ihr antun könnte, wurde ihr übel vor Angst.
    Kurz zuvor hatte Ula von einem jungen Mädchen namens Maria gehört, nicht viel älter als Anna. Sie war verhaftet worden, weil sie Wehrmachtsdeserteure versteckt hatte. Ula wünschte, Otto hätte nie davon erfahren. Denn Maria wurde nach Plötzensee gebracht und innerhalb einer Woche enthauptet.
    Hatte der Volksgerichtshof einmal einen Schuldspruch gefällt, fackelte man mit der Urteilsvollstreckung nicht lange.
    Solche Gedanken hielten Ula nachts oft wach.
    Otto erinnerte sie immer wieder daran, dass alles gut gehen werde, wenn sie vorsichtig blieben. Als hoher Funktionär im Ersatzheer war er, wie er meinte, über jeden Verdacht erhaben. Ula

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