Ausnahmezustand
einschlägigen Hamburger-, Pizza- und Kaffeeketten, sogar Bushaltestellen, nur daß die Bewohner sich auf dem Bürgersteig militärisch grüßen. Lustig sieht das aus, wenn der Bürgersteig belebt ist, beinah wie im Zeichentrickfilm: Hand hoch runter hoch runter hoch. Noch seltsamer sind die Jogger im Sportdress, die dennoch das Maschinengewehr auf dem Rücken tragen und den militärischen Gruß ebensowenig auslassen. Für die Begegnung mit Afghanistan ist das sogenannte «Yurta-Tent» vorgesehen, in dem zwei Kirgisinnen Souvenirs
Made in China
verkaufen: «We give a percentage of our annual sales directly to foundations that inspire messages of hopes for our continued freedom.»
Besuch bei der Paßbehörde
Auf der Rückfahrt hält der kleine Konvoi an der Paßbehörde von Kabul, weil Daniel seinen Aufenthalt verlängern möchte. Vielleicht billigten die Presseoffiziere den Abstecher, um zu zeigen, daß der Nordatlantikpakt und die Afghanen völlig normal miteinander umgehen und es kein Problem ist, spontan die Paßbehörde aufzusuchen. Allein, nichts an dem Vorgang ist normal. Je zwei Presseoffiziere und zwei Soldaten steigen in ihren Astronautenanzügen aus der Kapsel, um Daniel zu begleiten, der ebenfalls Helm und Schutzweste tragen muß. Sofort macht sich unter den Afghanen vor der Paßbehörde Unruhe breit. Nicht, daß sie aggressiv wären, im Gegenteil, eher scheinen sie sich zu fürchten, halten erkennbar Abstand und entfernen sich rasch von der Tür, auf die die Astronauten mit
salam, salam-Rufen
zusteuern, um sich nach dem richtigen Amtszimmer zu erkundigen. Es ist wirklich keine dankbare Aufgabe für eine schwer bewaffnete, mit Headset, Helm, Sonnenbrille und Schutzweste ausgestatte Gruppe junger Europäer in Kampfanzügen,auf Einheimische freundlich zu wirken. Die Soldaten bemühen sich redlich, das sehe ich aus dem Panzerwagen, aus dem ich nicht aussteigen darf, lächeln angestrengt, werfen die Maschinengewehre demonstrativ hinter den Rücken, halten die Handflächen beschwichtigend nach unten, die Tollkühnen nehmen sogar
salam, salam
rufend ihren Helm ab. Und wirklich bildet sich ein kleiner Pulk von Afghanen, die herauszufinden versuchen, was die Astronauten wollen, die an eines nicht gedacht haben: an einen Übersetzer. Schließlich stand der Abstecher zur Paßbehörde nicht auf ihrem Tagesplan.
Ich erkenne, daß ich gebraucht werde, und steige aus, ohne den verbliebenen Presseoffizier um Erlaubnis zu fragen. Als ich auf die Astronauten und die Afghanen zugehe, merke ich, daß ich an eines nicht gedacht habe: an die Schutzweste und den Helm. So unangenehm ist es mir, Kabuls Straßen, auf denen mir tags zuvor nur Gastfreundschaft begegnete, plötzlich in militärischer Ausrüstung zu betreten, daß ich sofort kehrtmache und Schutzweste und Helm in den Panzerwagen reiche. Dann komme ich den übrigen Astronauten, die überaus dankbar sind, endlich zu Hilfe und erfahre, daß sie vor der falschen Behörde angehalten haben.
Chodâ hâfez
, rufen die Afghanen ihnen nach: Gott schütze Sie.
Cola im Dunkeln
Am letzten Abend fahre ich zu Farid, der als Protokollant im afghanischen Parlament arbeitet, sein Geld allerdings mit einer Wäscherei im sowjetischen Viertel Kabuls verdient. Was von der Mittelschicht übrigblieb, lebt dort in Plattenbausiedlungen. Der Taxifahrer hat Mühe, die Adresse zu finden, weil es keinerlei Beleuchtung gibt: keine Straßenlaternen, keine Reklameleuchten, nicht einmal in den Häusern brennt Licht, allenfalls hier und dort einzelne Petroleumlampen, die flackern, sonst nur die Autoscheinwerfer. Aber Autos fahren um die Zeit, neun Uhr abends, nur wenige – wohin auch, wenn es keinen Strom gibt und damit kein öffentlichesLeben. Fünf Jahre nach dem Sturz der Taliban funktioniert in der Millionenstadt Kabul die Elektrizität noch immer nur drei bis vier Stunden täglich. Die Wasserversorgung ist erbärmlich, die Kanalisation eine Kloake. Immer wieder habe ich von NATO-Offizieren gehört, daß Sieg und Niederlage ihrer Mission sich nicht auf dem Gefechtsfeld, sondern im humanitären Bereich entscheiden. Na dann, gute Nacht, denke ich, als ich durch Kabuls menschenleere Straßen fahre, mitten durch teichgroße Pfützen, überholt von rasenden Four-Wheel-Drives mit westlichen Insassen, vorbei an riesigen, stockdunklen Zeltstädten, in denen Flüchtlinge im fünften Jahr campieren, vorbei an französischen Restaurants und nagelneuen Villen, in denen Ausländer und neureiche Afghanen
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