Ausnahmezustand
Strom und Warmwasser aus privaten Versorgungsanlagen beziehen und per Satellitenstandleitung vierundzwanzig Stunden täglich mit der Welt verbunden sind.
An sich wäre
nationbuilding
eine prima Idee. Praktisch heißt es, daß der Wiederaufbau die Wirtschaft der Geberländer stärkt. Die Vereinigten Staaten etwa vergeben Aufträge an amerikanische Großkonzerne, die sich nicht durch die günstigsten Angebote, sondern die besten Lobbyisten, engsten Kontakte und höchsten Wahlkampfspenden hervortun. Die Konzerne wiederum engagieren Subunternehmer, die ihrerseits Subsubunternehmer engagieren. Das meiste Geld bleibt schon einmal als Profit zwischen den Unternehmen hängen. Nachzuweisen haben die Auftragnehmer nicht den Fortschritt, sondern Photos vom Fortschritt, die von Parlamentsausschüssen oder Berichterstattern projiziert werden können. Dabei sind die Defizite wohldokumentiert, nicht bloß in Berichten afghanischer und westlicher Nichtregierungsorganisationen. So hat der amerikanische Rechnungshof nachgewiesen, daß die staatliche Hilfsorganisation Aufträge für Orte vergibt, die kein Mitarbeiter zuvor besucht hat, etwa für Straßen in isolierten Bergregionen, mitten durch Friedhöfe oder durch Schwemmebenen. Einige Vorhaben konnten auf Nachfrage auf Anhieb nicht einmal lokalisiert werden, und als die Orte schließlich gefunden wurden, stellte sich heraus, daß es dort zu abgelegen oder zu gefährlichwar, um lange zu bleiben. Der Rechnungshof hat außerdem bemängelt, daß einzelne Projekte wegen fehlender interner Kommunikation gleich zweimal vergeben und finanziert wurden.
Aber selbst das Geld, das Afghanistan schließlich erreicht, fließt größtenteils zurück in die Wirtschaft der Geberländer. Das Essen, das Management, die Konstrukteure, die Geräte, die Unterkünfte, Wachleute, sogar die Baumateralien und oft sogar die Arbeiter werden aus dem Ausland eingeflogen, genauso wie die meisten Nahrungsmittel und natürlich die Bequemlichkeiten wie Satellitenfernseher, Klimaanlage, gepanzerte Geländelimousine, Stromaggregat, die einem westlichen Ingenieur geboten werden müssen, damit er sich für Afghanistan verpflichten läßt. Allein die Privatfirma, die mit der Ausbildung von Polizisten beauftragt ist, verfügt in Afghanistan über eine Flotte von dreihundert gepanzerten Land-Cruisern, jeder im Wert von hundertfünfzigtausend Dollar. Ein ausländischer Berater kostet durchschnittlich fünfhunderttausend Dollar – hundertfünfzigtausend Dollar Gehalt, das übrige für seine Sicherheit, die Lebenshaltungskosten und den Überschuß, den sein Unternehmen erwirtschaftet. Das importierte Wasser, das er trinkt, kostet mehr, als ein afghanischer Arzt verdient, im Schnitt drei Dollar täglich.
Ähnlich wie der Wiederaufbau nach Naturkatastrophen hat sich
nationbuildung
zu einem regelrechten Industriezweig entwickelt, einer Goldgrube mit der entsprechenden Goldgräbermentalität: Geh ins Land, mach deinen Profit, steuerfrei, versteht sich, und tschüs. Das Ergebnis sind vielerorts Krankenhäuser, an denen vom ersten Tag an nur die Fassade heil ist, Schulen, die beim ersten Schnee einstürzen, Autobahnen, auf denen wenige Wochen nach ihrer feierlichen Eröffnung kein Asphalt mehr liegt, eine industrialisierte Landwirtschaft, in der sich viele Bauern nicht zurechtfinden und für die sie nicht ausgebildet wurden, so daß sie am Ende noch verzweifelter dastehen. Zwar gibt es mehr oder weniger erfolgreiche Einzelprojekte, neben Profiteuren auch viele Afghanen und Ausländer, die sich täglich bis zur physischen Erschöpfung um den Wiederaufbau bemühen, aber schwere Mängel in der allgemeinenInfrastruktur. Das Ergebnis ist, daß es unter den Taliban Strom gab und unter den Amerikanern nicht.
Schließlich finde ich die richtige Hausnummer, klopfe an die Fensterscheibe – und tatsächlich, Farid öffnet die Tür seiner Wäscherei, eine Petroleumlampe in der Hand. Aus dem Nachbarladen holt er Coca Cola. Ein Tee wäre mir lieber und viel billiger, aber ach ja, um einen Tee zu bereiten braucht man Strom.
– Wie machst du das mit der Wäsche, Farid? Bei drei Stunden Strom?
– Na ja, der Laden ist den ganzen Tag geöffnet, erklärt Farid, aber ich muß mich beeilen, daß ich alles gewaschen bekomme in den drei Stunden. Manchmal nur fällt der Strom ganz aus, dann türmt sich die Wäsche.
Ich frage Farid nach seiner Arbeit im Parlament. Sie macht ihm Spaß. Politik hat er studiert, an der Universität Kabul, wo heute
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