Ausnahmezustand
Hotel leisten kann, in dem ich wohne. Zweitausend Dollar habe ihn der Aufenthalt bereits gekostet, stöhnt er auf Englisch, zweitausend Dollar für Ferien in der eigenen Stadt, und nun habe auch noch seine Fabrik schließen müssen, weil die Anfahrtswege für Belegschaft und Lieferanten zu unsicher geworden seien; den Job sei er also ebenfalls los. Er sei Sunnit, habe weder etwas mit Alawiten zu schaffen noch besondere Sympathien für die Regierung, habe anfangs sogar mit den jungen Demonstranten sympathisiert, besonders die Korruption im Land ärgere ihn sehr. Aber nun habe er am eigenen Leib das Chaos erfahren, das die sogenannte Freie Armee anrichte, habe die bärtigen Fanatiker gesehen, ausländische Dschihadisten darunter, habe die fremden Sprachen doch gehört.
– Waren Sie denn noch zu Hause, als die Rebellen das Viertel einnahmen? frage ich.
– Nein, sagt der Ingenieur, wir waren schon geflohen, aber Nachbarn haben es uns berichtet, und Bilder gesehen haben wir auch.
– Im Fernsehen?
– Auch im Internet, sagt der Ingenieur und holt sein iPad hervor, um mir ein Video zu zeigen, auf dem langbärtige Männer mit Sturmgewehren durch eine Straße laufen. Er zeigt mir noch andereBilder, etwa Aufnahmen von einem zerstörten Krankenhaus, und fragt, welche Revolution denn Krankenhäuser zerstöre. Als ich nachfrage, ob das Krankenhaus nicht auch von Regierungstruppen zerstört worden sein könne, legt der Ingenieur erst richtig los und klärt mich mit detaillierten Belegen, die ich nicht durchweg als abwegig abtun kann, über den Plan des Westens und der Golfstaaten auf, Syrien erst zu zerstören und anschließend nach eigenem Gutdünken wieder aufzubauen. Seine Frau, die neben ihm im Innenhof des restaurierten Altstadthotels sitzt, nimmt ihre Zigarre aus dem Mund und nickt:
– Sehen Sie denn nicht, fragt sie, daß Syrien zu einem zweiten Irak gemacht werden soll?
Es sind zwei diametral entgegengesetzte Erzählungen, die sich das Damaskus dieser Tage in je verschiedenen Varianten erzählt und die nur eines gemeinsam haben: Jede neue Meldung, jedes neue Bild fügt sich nahtlos in die bestehende Deutung ein. Man muß nur einmal al-Dschasira und den syrischen Nachrichtenkanal nebeneinander sehen, ohne den jeweiligen Ton zu hören oder auf den Fließtext am Bildschirmrand zu achten – es sind die gleichen Aufnahmen von zerstörten Städten und weinenden Müttern, die als Beweis für die Barbarei des jeweils anderen Lagers angeführt werden. Manchmal male ich mir aus, die beiden säßen an einem Tisch, sagen wir der Schuster aus Meidan und der Ingenieur aus meinem Hotel, um ihre Argumente auszutauschen, dann höre ich von Familien insbesondere der Mittelschicht, in denen nicht einmal mehr Vater und Sohn, Bruder und Schwester, Gatte und Gattin ein Wort miteinander sprechen, weil sie die politischen Ansichten des jeweils anderen für falsch, mehr noch: für verbrecherisch halten.
Das Outsourcen des Terrors
Seltsamerweise ist der Umgangston an den Checkpoints, wo Staatsmacht und Bevölkerung im Alltag aufeinandertreffen, dennoch korrekt, oft sogar freundlich. Auch die Soldaten, mit denen ich ineinem Militärkrankenhaus in Damaskus spreche, wirken auf mich nicht wie finstere Gestalten, sondern ehrlich besorgt. Manche von ihnen erzählen anrührende, politisch durchaus ambivalente Geschichten, die nicht von einem Propagandaapparat vorgefertigt sein können. Der Fahrer, der mit großer Verve auf den Staat schimpft, kann dennoch mit dem Rekruten scherzen, der sich am Checkpoint ins Fenster beugt. Ich war oft genug in Ländern, in denen die Armee als Besatzungsmacht wahrgenommen wird, ich kenne die grimmigen oder ängstlichen Blicke, wo immer sich Soldaten und Zivilisten begegnen. Seltsamerweise sehe ich sie in Syrien nur selten.
Nur einmal höre ich schon bei der Anfahrt zu einem Checkpoint den Fahrer leise fluchen, und ich sehe, wie er sich umschaut, ob er noch wenden oder in eine Seitenstraße abbiegen kann, ohne Verdacht zu erwecken. Es ist auch keine gewöhnliche Kontrolle, weil dahinter ein Stadtteil liegt, in dem sich Rebellen verschanzt haben, und die Soldaten, die mit ihren Sturmgewehren auf das Auto zielen, sehen nicht aus wie gewöhnlich, sondern tragen zur Militärhose nur schwarze T-Shirts. Selbst ihr Körperbau sticht hervor, der Kommandant ist nachgerade fett, seine Soldaten auffallend groß und äußerst muskulös, und die düsteren Blicke zeigen noch vor den barschen Befehlen an, daß sie absolut
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