Ausnahmezustand
nicht zum Scherzen aufgelegt sind. Komme, was wolle, soll ich auf keinen Fall meinen Mund auftun, flüstert mir der Fahrer noch zu, da brüllt ihn der Kommandant schon an, was wir hier suchten. Der Fahrer stammelt etwas, von dem ich nur das Wort «verfahren» oder genau gesagt «Weg verloren» verstehe, schon fährt ihn der Kommandant an, daß er einen Wagen benötige. Zu Diensten, sagt der Fahrer, worauf sich vier Bodybuilder mit ihren Gewehren auf die Rückbank des iranischen Fabrikats zwängen, das wie ein Spielzeug aussieht und nur unwesentlich größer ist. Im ersten Moment bin ich froh, daß ich nicht Platz machen und also bei dem Kommandanten zurückbleiben muß.
Als die Soldaten zehn Minuten später ausgestiegen sind, flüstert der Fahrer «Schabiha», als sei allein schon das Aussprechen desWortes gefährlich: Hast du bemerkt, daß die Gewehre geladen waren? Nein, das habe ich nicht bemerkt, ich kenne mich mit den unterschiedlichen Stellungen von Gewehrverschlüssen nicht aus. Aber daß in dem Gedränge auf der winzigen Rückbank leicht jemand aus Versehen den Abzug hätte betätigen können, hätte der Fahrer nicht hinzufügen müssen.
Die Regierung samt deren Anhängern bis hin zu dem Ingenieur in meinem Hotel bestreiten vehement, daß es so etwas wie Schabiha-Milizen überhaupt gibt. Habe ich Beweise gefunden? Nein. Aber bemerkt habe ich und muß jeder bemerken, der sich an den Rändern der Stadt bewegt, daß ein bestimmter Typus des syrischen Soldaten sich in Kleidung, Körperbau und Mimik geradezu ostentativ von den regulären Truppen unterscheidet. Ob er sich Schabiha nennt oder nicht, ist vielleicht gar nicht so wichtig. Wichtiger ist, daß das eine Lager fest von der Existenz einer Regierungsmiliz überzeugt ist, die für nichts anderes da ist, als zu morden und zu plündern, das andere Lager hingegen die Existenz einer solchen Mörderbande für absurd hält, sie im Zentrum der Städte und den wohlhabenden Vierteln auch gar nicht wahrnimmt und deshalb für die Massaker und Plünderungen eine unheimliche, äußere Kraft verantwortlich macht. Das heißt, beide Lager fürchten sich vor einem Feind, der zum Äußersten entschlossen ist, und nehmen jede neue Gewalttat als Beleg für die Berechtigung ihrer jeweiligen Angst.
Man wird einwenden, daß die Existenz und auch die Verbrechen regierungsnaher Milizen hinreichend dokumentiert seien. Gleichwohl hält ein Teil der Syrer – viele Wohlhabende, viele Drusen, viele Christen, die große Mehrheit der Alawiten – eben deshalb am Staat fest, weil sie ihn in Gestalt der Regierung, der Beamten oder der regulären Truppen vielleicht als korrupt, aber gerade nicht als brutal wahrnehmen. Assad ist doch kein Saddam Hussein! – wie oft höre ich das während meines Aufenthaltes. Nein, das ist er nicht, weil Saddam Husseins Herrschaft wie so viele andere Tyranneien auf offener Gewalt beruhte, auf Hinrichtungen, die öffentlich verkündet wurden, auf Folterungen in den regulären Gefängnissenoder Giftgasangriffen, die er nicht einmal zu verheimlichen suchte. Die Herrschaft Baschar al-Assads hingegen ist nicht zu verstehen, wenn man nicht das menschenfreundliche Antlitz ernstnimmt, das sie sich von Anfang an zu geben versucht hat – seien es die Auftritte mit seiner jungen, sympathisch wirkenden Frau inmitten der Stadtgesellschaft, die geradezu rituell gewordenen Ankündigungen, in einen Dialog mit der Opposition treten zu wollen, oder die wirtschaftliche Liberalisierung, die dem Land die Schöne Neue Welt der globalen Konsumgüter beschert hat. Indem der Staat den Terror gewissermaßen «outgesourct» hat an Milizen, deren Existenz er entschieden bestreitet, versetzt er die oppositionellen Teile der Bevölkerung in Angst und Schrecken und führt seinen Anhängern zugleich in den täglichen Abendnachrichten vor, wie erbarmungslos die Opposition im Fall eines Machtwechsels mit ihnen verführe. So bezieht das Regime seine Legitimation aus dem Radikalismus seiner Gegner, den es deshalb systematisch schürt. Mit wachsendem Erfolg: Daß die verwundeten Soldaten, zu denen ich im Militärkrankenhaus geführt werde, von der Roheit der Rebellen sprechen, mag ihnen eingebleut worden sein oder nicht; bei aller Perfidie der staatlichen Propaganda schwer vorstellbar erscheint hingegen, daß ihnen die groben Stichverletzungen erst im Leichenschauschau zugefügt oder die Gliedmaße nachträglich abgetrennt worden sein sollen. Im Flur stapeln sich die Särge, weil in den
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